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Verzauberte Bürokratie

Was Sippenflüche mit der Sprache beim Standesamt zu tun haben

„Hiermit erkläre ich Sie zu Mann und Frau.“ Ein magischer Moment — zumindest in der Erinnerung all derer, an die diese Worte schon einmal gerichtet wurden. Dabei wird er heute meist ganz profan im Standesamt gefeiert. Die Trauung; ein schlichter bürokratischer Akt. Entsprechend spröde heißt es heute deshalb eigentlich korrekt: „Da Sie beide die Traufrage mit Ja beantwortet haben, erkläre ich, die Standesbeamtin der Stadt, Sie im Namen des Gesetzes zu Mann und Frau.“

Unromatischer kann man es kaum sagen und trotzdem haben diese Worte eine zauberhafte Wirkung — nicht nur auf die Anwesenden, sondern auf einen ganzen bürokratischen Apparat. Denn anders als die meisten Sätze ist dieser nicht einfach dahingesagt. Er verändert Tatsachen: vom Namen bis hin zur Besteuerung schaffen Worte Fakten.

Sprechakt, so nennt die Sprachwissenschaft Worte, die die Welt verändern. Von der Kündigung bis zur Kriegserklärung lässt sich mit wenigen Sätzen das Schicksal wenden — und nicht so leicht zurückdrehen. Fast zauberhaft erscheint die Macht, mit der bestimmte Worte in die Wirklichkeit eingreifen. Und tatsächlich waren es wohl Zaubersprüche, mit denen es zu den ersten Sprechakten kam.

„bên zi bêna, bluot zi bluoda, lid zi geliden, sôse gelîmida sîn“. Bein zu Bein, Blut zu Blut, Glied zu Glied, als wenn sie geleimt wären — so steht es im 2. Merseburger Zauberspruch, mit mindestens 1000 Jahren einer der ältesten unseres Kulturkreises. Ich kann Sie beruhigen, Sie können ihn laut vorlesen, ohne dass anderen Anwesenden durch magische Kräfte alle Knochen gebrochen werden. Gedacht ist der Spruch allein zur Heilung verrenkter Pferdehufe. Aber auch wenn Sie die mächtigen Worte kennen würden, mit denen der biblische Noah seinen Enkel Kanaan und dessen Nachkommen zu ewiger Knechtschaft verdammt hat, gegen den eigenen aufmüpfigen Nachwuchs wären sie nutzlos.

Ein Sprechakt muss glaubwürdig sein, sonst bleibt er ohne Wirkung.

Denn nicht jeder kann andere Menschen verzaubern, so wie auch nicht jeder ein Paar vermählen darf. Sprechakte sind damals wie heute an bestimmte Personen gebunden. Ob Magier und Geistliche oder Standesbeamte und Richter*innen, es bedarf eines bestimmten Status, um Dinge mit Sprache bewirken zu können. Der*die Sprechende muss die Worte lange studiert haben, mit denen er*sie nun hantiert. Und er*sie muss in seine*ihre Geschäfte initiiert werden — entweder durch mystische Riten oder durch amtlichen Eid. Wer eine*n Falschparker*in am liebsten lebenslänglich hinter Gittern sehen würde, dem wird der Umweg über den*die Richter*in deshalb nicht erspart bleiben. Der Versuch, das ganz persönliche Urteil zum offiziellen zu machen, scheitert meist. Es wird einfach ignoriert.

Ein Sprechakt muss glaubwürdig sein, sonst bleibt er ohne Wirkung. Es reicht nicht, wenn der*die Sprecher*in an seine Macht glaubt. Und auch die Adressaten allein zu überzeugen genügt noch nicht. Erst wenn die Gemeinschaft überzeugt ist, wirkt auch der Spruch. Jeder Fluch braucht eine Fluchgemeinschaft: Menschen, die die Verwünschung bezeugen können. Sonst bleibt der Fluch ohne Wirkung.

Wenn die neuen Herren nicht informiert sind, dass Kanaans Familie ihnen fortan auf alle Zeit als Knechte dienen sollen, könnte Noahs Fluch schon an mangelnder Zuarbeit scheitern. Bis vor kurzem brauchte auch jede Trauung noch Zeug*innen, die der Welt von der Vermählung künden sollten. Ausgerechnet diese Regelung ist jetzt abgeschafft. Aber der aktuellen Scheidungsrate nach zu urteilen, zeigt dieser Glaubwürdigkeitsverlust schon seine Wirkung. Damit sich der Rest der Welt auch ohne Zeug*innen versichern kann, dass der Trauakt wirklich stattgefunden hat, wird das ganze Schauspiel säuberlichst protokolliert.

Und das, obwohl der Ablauf sich jedes Mal gleicht. Das muss er auch: Denn nur wenn die Worte in der richtigen Reihenfolge von den richtigen Personen gesprochen werden, wird der Zauber wahr. Erst der überlieferte Ablauf, der Ritus, macht den Sprechakt möglich. In großer Sorge musste man früher noch bei verstammelten Zaubersprüchen sein, die sich durch kleinste Änderungen gegen ihren Sprecher wenden konnten. Doch auch, wer bei einer Hochzeit eine Silbe vertauscht, das „Ja“ mit dem „Nein“ verwechselt, muss mit weitreichenden Konsequenzen rechnen. Erst nach vielen Jahrzehnten großen Einsatzes vieler Menschen durften wenigstens zwei andere Worte im Trauspruch geändert werden.

Vom Sippenfluch zum Gerichtsurteil braucht es nur ein paar Wortumstellungen.

Nun kann man endlich auch „Mann und Mann“ sowie „Frau und Frau“ vermählen. Nur ungern schustern Menschen an ihren Ritualen herum. Zu groß ist die Sorge, der magische Spruch könne dabei seine Wirkung verlieren. Das Prinzip hat sich also nicht geändert. Vom Sippenfluch zum Gerichtsurteil braucht es nur ein paar Wortumstellungen.

Die schwarze Robe ist von Magier*innen zu Richter*innen übergegangen. Es bleibt jeder Gesellschaft von Neuem überlassen, wen sie wann und wo mit welchen Worten die Welt ändern lassen möchte. Ob das Verabredete dann auch gelingt, ist heute nicht sicherer als zu Zeiten der Hufbesprechungen. Zauberhaft ist, wenn alle sich daran halten.