Online Lesen

Look At All The Fucks I Don’t Give!

I „like“ — bei Facebook herrscht Zustimmungszwang. Die Welt des Social Web kennt keine Ablehnung. Tumblr & Co. zeigen, dass man mit GIFs auch Haltung zeigen kann. Sind die sozialen Netzwerke reif für den Konflikt?

Ich bin ein GIF-Maniac. Die kleinen Loop-Animationen erfahren seit geraumer Zeit ein stürmisches Revival im Social Web. Längst sind sie auch für mein gängiges Kommunikationsrepertoire in Online-Konversationen unentbehrlich.

Die Mittagessensanfrage eines Kollegen lässt sich kaum effektvoller annehmen als mit einem Lady-Gaga-Show-Move. Statt eines schnöden „Glückwunsch!“ auf der Timeline einer Freundin poste ich zu ihrem Geburtstag doch lieber Leonardo DiCaprio, der in „The Great Gatsby“ mit glamourös-jovialer Geste das Champagnerglas erhebt. Und ein spitzer Facebook-Kommentar lässt sich unglaublich elegant kontern, wenn man Meryl Streep in ihrer unnachahmlich arroganten Attitüde aus The Devil Wears Prada für sich antworten lässt. Say it with a GIF!

Auf Plattformen wie Tumblr, Reddit oder Imgur sammeln sich unüberschaubare Mengen dieser „Reaction GIFs“. Neben dem obligatorischen Katzen-Content und Slapstick-Szenen mit Tierbabys reihen sich hier die Gesichter von Hollywood-, TV- und Internet-Stars aneinander und wiederholen in Endlosschleife eine vielsagende Geste oder einen bissigen Kommentar. Meistens handelt es sich um kurze und kürzeste Ausschnitte aus Filmen, bekannten Serien oder Fernsehshows.

Leider sperrt sich Facebook gegen das GIF: Man kann zwar den Link posten, es wird aber nur eine Bildvorschau ohne Animation angezeigt. Man muss dem Link erst folgen, um ihm Leben einzuhauchen. Ein Raunen ging durch die Netzwelt, als Facebook im Sommer letzten Jahres verlauten ließ, man könne nun auch GIFs auf Facebook darstellen. Ein bisher uneingelöstes Versprechen.

Giphy.com — eine Seite, die auf die animierten Bilder spezialisiert ist — versucht seit Kurzem die Sperren zu umgehen, indem jeder Giphy-Link auf Facebook in eine Art Video mit Playbutton umgewandelt wird. Das ist aber nur ein schaler Ersatz. Animierte GIFs sind in Bewegung, sobald sie im Browser zu sehen sind und laufen endlos weiter.

GIFs sind keine Video-Clips. Sie haben keinen Anfang und kein Ende. Der eingefangene Moment ist zeitlos: unendlich und immer wieder passend. Genau das macht den Reiz aus. Dass Facebook sich beharrlich weigert, das GIF-Format zu unterstützen, ist verwunderlich. Technische Gründe lassen sich nicht vorschieben, denn das GIF ist seit Jahrzehnten ein gängiges Standardformat im Internet. Das Graphics Interchange Format wird 1987, als das World Wide Web gerade seinen Anfang nimmt, von Steve Wilhite entwickelt. Es ermöglicht eine effektive, verlustfreie Kompression von Bildinformationen. Bilder im GIF-Format benötigen nur kurze Ladezeiten, können sogar Transparenz darstellen und kleine Animationen in Endlosschleife wiedergeben. So wird das GIF zum soliden Softwarestandard, der in allen Browsern problemlos dargestellt werden kann.

Amateur-Websites in den 90er Jahren, die sich allzu gern mit hüpfenden Smileys, drehenden Weltkugeln und blinkenden Laufschriften schmücken, bringen ihm den Spitznamen „Zappel-GIF“ und einen ästhetisch fragwürdigen Ruf ein. 27 Jahre später, trotz längst überholter Technologie und grobschlächtiger Anmutung, ist das GIF populärer denn je. Mit einfacher Bildbearbeitungssoftware kann auch der*die unerfahrenste Nutzer*in selbst eigene Animationen erstellen oder Minisequenzen aus digitalen Videos extrahieren. Der Effekt: zappelige Bewegtbildschnipsel werden milliardenfach geteilt und häufen sich auf vielen Blogseiten zu digitalen Müllhalden (GIF dumps) an.

Gleichermaßen entdecken postmoderne Künstler*innen den Reiz der Wiederholung in diesem besonderen Format, das seine mediale Nische zwischen Bild und Film sucht. Als Cinemagraph™ findet das GIF neuerdings Verwendung in der Modefotografie. Der*die Graffiti-Künstler*in INSA kreiert Hybride aus Stop-Motion-Film und Wandkunst und tauft sie „GIF-iti“. Und die Künstlerin Claire Marie Christerson bastelt skurrile Collagen, um sie im GIF in Bewegung zu setzen.

Gemeinsam zeigen sie dem Rest der Welt den ausgestreckten Mittelfinger.

Doch das GIF braucht weder das Genie noch die exquisite Aura der Kunst, um seine innovativen Potenziale zu entfalten. Das Internet hat eigene Recycling-Mechanismen, die aus zirkulierendem Online-Trash ganz neue Genres generieren. So haben sich im vergangenen Jahr auf der ganzen Welt Klone des City-Blogs whenyouliveinberlin.tumblr.com (selbst Klon eines Blogs aus Washington, D. C.) verbreitet. In formaler Strenge werden hier stadttypische Alltagssituationen in kurzen Konditionalsätzen zusammengefasst und mit witzigen GIFs komplettiert.

Wie man sich fühlt, wenn man den stadtbekannten Kater Holzig verlässt, soll uns zum Beispiel ein GIF mit dem kleinen David verdeutlichen. Ehemals aus einem Youtube-Video bekannt, in dem er nach einem Zahnarztbesuch einen gesegneten Rausch auf dem Rücksitz des Familienvans durchlebt, leiht er jetzt dem*der Berliner Durchschnittsclubber*in sein verklärtes Gesicht: Is this real life?

Ähnliche Tumblogs gibt es nicht nur für Städte, sondern auch bestimmte Gruppen, wie Akademiker*innen (wheninacademia.tumblr.com), Lehrer*innen (whatshouldwecalleducators.tumblr.com) oder Singles (whatshouldwecallsinglelife.tumblr.com). Als einer der ersten seiner Art darf vermutlich whatshouldwecallme.tumblr.com gelten. Hier wird das Leben junger New Yorkerinnen thematisiert, die zum Beispiel die Essenz ihres Sunday Funday mit einem GIF von Erin Kemper aus „The Office“ auf den Punkt bringen: „I really want to have fun today. Because tomorrow is going to be a nightmare.“

Diese Blogs sind Inseln der Reflexion im Social Web. Das alltägliche Scheitern wird hier ebenso zelebriert wie schlechte Angewohnheiten, die banalen Ärgernisse und marginalen Triumphe eines ganz und gar nicht heldenhaften Lebens. Hier wird gesoffen, geraucht und geflucht. Tumblogs wie diese erinnern an die Eckkneipe nebenan, in der sich nach Feierabend die örtlichen Antiheld*innen versammeln, um sich gemeinsam über ihren gewöhnlichen Alltagsmist zu beklagen, dann mit ein paar Drinks die Sorgen herunterzuspülen und für ihre sarkastischen Witze High Fives zu verteilen.Persönliche Profile der User*innen spielen hier keine Rolle. Stellvertretend reihen sich GIFs aneinander und wiederholen endlos ihre theatralischen Posen, giftigen Bemerkungen und lässigen Gesten: Neben der aufgebrezelten Dragqueen hockt der übelgelaunte Dr. House und die abgehalfterte Britney Spears verdreht die Augen — zwischendurch plumpst eine Katze vom Regal. Gemeinsam zeigen sie dem Rest der Welt den ausgestreckten Mittelfinger.

Ein seltsam gestriger Ort wie aus einer Zeit, als es noch 9-to-5-Jobs, autoritäre Chef*innen, aber auch einen Feierabend und echte Wochenenden gab. Eine Zeit, als Mobilfunk und Internet noch nicht die Grenzen zwischen Job und Privatem kreuzen konnten — die Schwelle zum Montagmorgen also umso schmerzhafter war. Das Internet hat die unflexiblen Arbeitszeitregime aufgelöst und den Schreibtischsklaven befreit. Das war jedenfalls der Plan. Sollte das Netz nicht mal die ideale Arbeitswelt werden mit selbstbestimmten Ich-Unternehmer*innen, die ihre erfüllende Kreativarbeit leisten können, wo und wann sie wollen? Nun scheinen ausgerechnet diese autonomen Netzarbeiter*innen das Bedürfnis zu haben, ihre eigenen digitalen Eckkneipen einzurichten.

Bist du glücklich, werde glücklicher!

Doch das ist eigentlich kein Wunder. Selbstbestimmt leben ist mühsam. Die Freiheit, ein glückliches Leben zu gestalten, schlägt bekanntermaßen in einen Zwang um. Bist du glücklich, werde glücklicher! Bist du unglücklich, selbst schuld! Auch für unser Scheitern tragen wir selbst die Verantwortung. Jedes Missgeschick, jede falsche Entscheidung und jede depressive Phase fällt auf uns selbst zurück. Du magst deinen Job nicht? Such dir einen neuen! Dich nervt die Stadt, in der du lebst? Zieh um! Du bist müde und ausgebrannt? Mach mehr Sport oder eine Therapie! Das ist die Kehrseite der gelobten Selbstbestimmung: Wenn ich mein eigener Herr sein will, dann muss ich auch mein eigener Knecht sein.

Zu gerne würde ich gelegentlich die Peitsche wieder abgeben: an einen*einer Chef*in, die*den ich dafür hassen kann. An die Stechuhr, die mich aus dem Bett treibt, aber mir auch den Feierabend gönnt. An das Wetter, das ich für meine Launen verantwortlich machen kann. An das Schicksal, das mir die Entscheidungen abnimmt. Aber niemand will die Zeit zurückdrehen. Stattdessen entstehen im gelobten „Neuland“ kleine Protestinseln, die dem selbstbestimmten Leben eine gesunde Portion Fatalismus zurückgeben.

Es sind Horte der Verantwortungslosigkeit, die mir die Geschicke des individuellen Daseins endlich einmal aus der Hand nehmen. Sie erinnern mich daran, dass höhere Mächte, undurchsichtige Bedingungen und der Zufall es sind, die unsere Lage bestimmen. Die frohe Botschaft: Wir können nichts dagegen tun. Ein Besuch dieser Alltags-Tumblogs entlastet daher vom verinnerlichten Kontrollzwang und übt — entgegen aller Autonomie-Ideale — in seliger Schicksalsergebenheit.

Tatsächlich hat das Scrollen durch die GIF-Sammlungen einen ähnlich therapeutischen Effekt wie ein Feierabendschnaps mit namenlosen Tresengenoss*innen. Es entlastet vom ganz und gar eigenverantwortlichen Dasein. Diese Sammlungen erzählen nicht von einem individuellen Leben, sondern sprechen eine unpersönliche Leidensgemeinschaft an. Die Konditionalsätze („When you …“) machen aus jeder geschilderten Situation ein stereotypes Ereignis: So oder so ähnlich passiert es täglich, auf der ganzen Welt, immer wieder, und zwar jeder*jedem. Die Animationen in Dauerschleife sind daher das konsequente Abbild unseres Alltags — und seiner ewigen Wiederkehr.

Tumblr und seine GIF-Legionen richten sich gegen eine neoliberale Mentalität restlos bejahender Selbstbestimmung. Facebook auf der anderen Seite ist der Ort, an dem diese Egomanie voll zur Geltung kommt. Nichts könnte das feindliche Verhältnis zwischen Tumblr und Facebook besser auf den Punkt bringen als ein Post vom 3. Dezember 2013 auf whatshouldwecallme.tumblr.com. Unter der Headline „How I feel about ‚Look how great my life is‘ posts on Facebook“ verdreht Krysten Ritter aus „Apartment 23“ melodramatisch die Augen und lässt resigniert den Kopf hängen.

Facebook ist gemacht, um Heldengeschichten zu erzählen. Das gibt die Struktur vor. Was auch immer ich auf Facebook tue, ich tue es unter meinem eigenem Namen. Jeder Like, jeder Link, jeder Kommentar fügt meinem Profil etwas hinzu, das Auskunft darüber gibt, womit ich mich, wenn auch nur für einen Moment, beschäftige. Selbst wenn ich einen ablehnenden Kommentar zu einem Artikel abgebe, verknüpfe ich mein Profil mit diesem Link und seinem Inhalt. Ob Absicht oder nicht, ständig arbeite ich an meiner Online-Identität, ständig knüpfe ich am losen Freundschaftsnetz, um nicht durch die Maschen zu fallen.

Doch muss man immer mit allen und allem so eng sein? Ignoranz ist eigentlich die einzige und größtmögliche Ablehnung und Distanznahme im Social Web. Ignoranz bleibt im Netzwerk jedoch leider unsichtbar. Niemand sieht, was mich nicht interessiert. Es gibt keinen „Egal“-Button. Ein offensiv formuliertes „I don’t care!“ findet daher auf Facebook keinen Platz. Mit Desinteresse lässt sich kein Netzwerk pflegen. Passive Mitglieder verschwinden regelrecht. Wer nicht kommentiert, erscheint nicht auf dem Newsfeed; sein Profil bleibt nichtssagend.

Einer Studie zufolge macht Kommentarabstinenz sogar unglücklich, während Aktivsein auf Facebook das Glück steigern soll. Aktives Facebook-Mitglied zu sein heißt, das eigene Profil mit Zustimmungen erweitern: liken, teilen, kommentieren. Da Aversion und Gleichgültigkeit keinen Niederschlag finden, wird das eigene Dasein auf Facebook entweder auf bejahende Weise erzählt oder gar nicht: Wenn ich von meinem Urlaub berichte, dann nur, weil ich tolle Fotos zeigen kann oder der Zielort bemerkenswert ist.

Wenn ich meines*meiner neuen Arbeitgeber*in kundtue, dann nur insofern er*sie mir gefällt. Beides wird mit der Mitteilung auf Facebook rückwirkend zu einer guten Entscheidung, die ich mir, das heißt meinem Profil, zuschreibe. I like what I get = I get what I like! In diesem selbstbestimmten Leben verknüpfen sich die selbsterzählten Erfolgsgeschichten zu einer gelungenen Biografie. Kommentarfreie Zeiten klaffen als offene Lücken im Online-Lebenslauf, die auf sträflicherweise unausgeschöpfte Lebenszeit verweisen.

GIF-Tumblogs richten sich mit einer nachdrücklichen Geste gegen Facebooks Affirmationsdiktat, indem sie unsichtbare Ignoranz in eine offensive Parole wenden: „Look at all the fucks I don’t give!“

Tumblogs pfeifen auf große Erzählungen, auf Heldengeschichten oder Melodramen. Dagegen werden die nichtigen Erfolge und leidigen Macken einer unglamourösen Lebensführung überhöht. Während man auf Facebook die persönliche Spitzenzeit auf der neuen Joggingroute kundtut, wird auf Tumblr zum Protest gegen Gesundheitsimperative ein weiterer Sunday Hangover zelebriert.

Während man auf Facebook für die letzte Bild gewordene Fernreise und die nächste Stufe auf der Karriereleiter Likes einheimst, sind Begeisterungsstürme auf Tumblr vor allem für ein Mittagsschläfchen oder das Türklingeln des Pizza-Service zu erwarten. Während man auf Facebook einander so bedeutsame Lebensereignisse wie Heirat oder Nachwuchs beklatscht, hat man auf Tumblr für solche normgerechten Bilderbuchbiografien nur ein süffisantes Lächeln übrig.

Sinnbild dieser Weigerung ist die tölpelhafte Katze, die auf den GIF-Tumblogs in allen Varianten auftaucht. Ganz entgegen ihres Images als elegant-geschmeidiger Herrin jeder Lage, erscheint sie in GIFs vor allem als ungelenke Protagonistin dramatischer Slapstick-Einlagen. Dennoch bewahren selbst ungeschickte Katzen stets eine erhabene Würde — ganz wie wir natürlich. In gleicher Weise verleihen die prominenten GIF-Gesichter der alltäglichen Erbärmlichkeit einen eigensinnigen Glamour. Bitch, I’m fabulous!

Tumblogs fügen dem selbstbestimmten Leben, dessen Autonomie-Illusion von Facebook weitererzählt wird, seine verschwiegene zweite Hälfte hinzu. Die Wahrheit ist: Manchmal hassen wir unseren Job. Manchmal trinken wir aus Frust. Manchmal verkacken wir gründlich. Meistens tun wir am liebsten gar nichts oder nichts, was nützt. Wir haben keine Zukunftspläne und fühlen uns noch immer nicht wirklich erwachsen.

Let’s see if I give a fuck … NOPE!