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Facebooks Beitrag zur digitalen Freundlichkeit

Neulich im Zug. Auf einer sechseinhalbstündigen Fahrt von Mittel- nach Norddeutschland durfte ich Zeugin eines Szenarios werden, das man als symptomatisch für den Zustand unserer Gesellschaft bezeichnen könnte. Die Hauptakteurinnen: zwei 13-jährige Freundinnen mit ihren gepimpten Smartphones auf Reisen. Ihr Ziel: ein Kurzurlaub an der Ostsee. Beinahe überflüssig zu erwähnen, dass die Mädchen durch eine hochemotionale Nabelschnur mit ihren Geräten verbunden waren und sich ihr Gespräch in weiten Teilen im Austausch über deren Empfangsstärke erschöpfte.

Im gefühlten Abstand zweier Seen in Mecklenburg-Vorpommern wurde dann auch immer wieder versucht, Facebook aufzurufen, um die hottesten News aus der Peergroup zu beurteilen — ein wahres Martyrium in einer funktechnisch kaum erschlossenen Gegend und angesichts der regen Anteilnahme der beiden an den Like-Zahlen unter dem Beziehungsstatus ihrer Freund*innen. So weit, so unspektakulär.

Gerade in einem Alter, in dem man seine Energie mit Vorliebe in einen ausgeprägten Widerwillen investiert, fiel es den Mädchen auch diesbezüglich schwer, eine reife Freude am bevorstehenden Ankommen zu entwickeln — weshalb sie sich auf kindliche Weise nach Hause zurücksehnten, längst bevor der Rostocker Hauptbahnhof überhaupt in Sichtweite kam. Die Quintessenz dieser mehrstündigen Sozialstudie bestand jedoch nicht in der resignierten Kenntnisnahme der ausgeprägten Beschwerdekultur jugendlicher Bahnfahrerinnen allein.

Stattdessen wuchs so etwas wie ein dankbares Erstaunen darüber, dass der nihilistischen Attitüde des Alles-scheiße-Findens mit der Leidenschaft für die Like-Funktion im sozialen Netzwerk ein echter Konkurrent entgegentritt. Natürlich wirkt die Koexistenz der absoluten Ablehnung gegenüber allem, was im echten Leben passiert, und dem permanenten Rausch des Gernhabens virtueller Ereignisse irgendwie schizophren. Aber gerade darin liegt wahrscheinlich nicht das Gift, sondern das bisher verkannte Potenzial von Facebook.

Der Umgang mit sozialen Netzwerken wie Facebook muss intuitiv sein, natürlich. Daher möchte man meinen, auch das Prinzip des Likens sei selbsterklärend. Ist es im Grunde auch, jedoch legt bereits die scheinbar banale Gebrauchsanweisung einen grundlegenden interpretatorischen Spielraum frei. Das deutsche Facebook erläutert, was es genau „bedeutet, wenn mir etwas gefällt“, nämlich folgendermaßen: „Wenn du unter einem Beitrag (…) auf ‚Gefällt mir‘ klickst, teilst du anderen damit mit, dass du diesen Beitrag positiv bewertest (…).“ Aha. Dieser etwas spröden Formulierung steht die des amerikanischen Help Centers gegenüber, wo das Liken als „an easy way to let someone know that you enjoy it“ nach deutlich mehr Spaß klingt.

Die damit eröffnete Differenz zwischen einer bewertenden und einer genießenden Like-Aktivität berührt zwangsläufig die Frage, was Liken eigentlich bedeutet — und zwar nicht mit Blick auf Erklärungsmuster, die sich auf die üblichen national-mentalen Stereotypen oder auf gerissene PR-Strategien berufen, sondern im Sinne einer unvoreingenommenen Betrachtung dessen, was man als Like-Kultur verstehen könnte.

Like-Economy und soziale Beziehungen

Wie die beiden Varianten der Facebook-Selbstauskunft unmissverständlich klarmachen, besteht der Kern des Likens in einem vordergründig kommunikativen Akt. Liken soll man demnach nicht für sich selbst, sondern für die anderen, denn die Gefallensbekundung wird auf insgesamt fünf Ebenen öffentlich: Der jeweilige Beitrag wird mit der Information versehen, dass man ihn mag; die eigene Chronik wird um diesen Tatbestand erweitert; er erscheint außerdem im Newsfeed der eigenen Kontakte sowie deren Livestream und schließlich erhält derjenige, der den Beitrag erstellt hat, eine entsprechende Benachrichtigung. Seit den 70er Jahren nennt man sowas auch information overload.

Liken kann man allerdings nicht nur die Urlaubsfotos und Partyposts seiner Freunde, sondern mittlerweile fast das ganze Internet. Denn, wodurch sich Facebook finanziert, wissen wir ja. Wir sehen es ständig am Rande des Browserfensters in Form von hysterischen Frauen in Fellstiefeln oder Sushibars in Berlin. Schuld sind wir selbst, denn wir liefern Facebook den nötigen Input für diese personalisierten Werbeanzeigen selbst und weitgehend freiwillig.

An sich ist das schon längst ein alter Hut im E-Commerce und prinzipiell auch ganz okay so, wenn uns bewusst ist, dass wir mit dem Betätigen des Like-Buttons vor allem unser Kund*innenprofil schärfen. Nach dieser Funktion ist daher auch die nächste Evolutionsstufe der Netzökonomie benannt worden: Nach Hit- und Link-Economy beschert uns Facebook jetzt die Like-Economy.

Was so vollmundig nach einem neuen Wirtschaftswunder mit integriertem Crashrisiko klingt, ist Carolin Gerlitz, einer Expertin für Neue Medien zufolge in erster Linie als Strukturmodell zu verstehen: Durch die Schnittstellen des Social Graph, des Open Graph und Facebook Connect sowie soziale Buttons und Plug-ins verschwimmen die Grenzen zwischen der einst als walled garden konzipierten Plattform und dem übrigen Internet. Indem Share, Like & Co. Informationen zwischen externen Webseiten und den Facebook-Profilen zirkulieren lassen, entsteht ein Effekt der Durchlässigkeit in der virtuellen Datenkanalisation und damit eine Form der Dezentralisierung des Internets. Daran — und an die Allgegenwärtigkeit antiautoritärer, freiheitlicher Potentiale digitaler Netzwerkmedien — kann man glauben, muss man aber nicht.

Denn andererseits fließen all die neuen, spannenden Datenströme zurück zu Zuckerbergs Servern, die letztlich die Kontrolle darüber haben, was davon wieder bei den externen Webseiten ankommt. So mancher erkennt darin ein gefährliches Machtmonopol, zumindest aber einen kalifornischen Informationsknotenpunkt, der über unseren Geschmack mehr weiß als der Amazon-Empfehlungsagent. Diese simultane Zentralisierung wird durch den zu Recht höchst umstrittenen Einsatz von Cookies verstärkt, die sich hinter den Like-Buttons externer Seiten wie Spiegel Online, GMX oder Chefkoch verstecken und sogar Auskunft über Facebook-Verweigerer (beziehungsweise deren IP-Adresse, Browserkonfigurationen und Betriebssystem) ins Silicon Valley weiterleiten.

Die Aufgabe des Like-Buttons in diesem weniger einem Netz als vielmehr einem Flaschenhals ähnelnden System aus digitalen Räumen und Datenströmen besteht also darin, unsere positiven Reaktionen auf alles Mögliche zu erfassen und gewinnbringend zu verarbeiten. Wir füttern den Riesen und mit jedem Häppchen unseres Gefallens steigert sich sein Body-Mass-Index. Das mag weder diejenigen überraschen, die sich über den Kern von Facebooks Geschäftsmodell — nämlich die Umrechnung sozialer Interaktionen in US-Dollar — im Klaren sind, noch die über dieses Thema debattierenden Wirtschaftssoziolog*innen. Wenn wir aber bedenken, dass Likes (genauso wie unsere Freundschaften) längst Handelsware geworden sind, sollte man sich fragen, was wir da eigentlich — und aus welchem Grund — Facebook und seinen Werbekund*innen so großzügig zur Verfügung stellen.

Das Geschäft mit dem Affekt

Man kann durchaus darüber streiten, was sich in Likes eigentlich ausdrückt. Natürlich soll es vorkommen, dass sich der eine oder andere Facebook-User vor jedem noch so kleinen Klick in eine innere Klausur zurückzieht, um seinem Like eine fundierte Meinung zur jeweiligen Sache zu Grunde legen zu können — für eine entsprechende Repräsentation dieser Leistung wiederum ist der Like-Button nicht gemacht. Sinn und Zweck des Likens besteht ja gerade in der Reduktion auf das Nötigste. Wessen Haltung zu Lol-Cats und Harlem Shake einen kognitiv anspruchsvolleren Rahmen als ein einsilbiges „Daumen hoch!“ benötigt, weicht in der Regel auf das Kommentarfeld aus.

Tatsächlich sind es eher spontane Affekte, die uns den Like-Button betätigen lassen: Ein Foto spricht uns an, wir mögen es auf den ersten Blick. Ein verlinkter Artikel trifft unseren Geschmack, wir mögen ihn spätestens auf den zweiten. Es sind Gefühlsregungen, die uns im Moment der Rezeption überkommen, unwillkürliche, quasi reflexhafte Ausschläge unserer Sympathiekurve, die uns dazu bringen, unsere Begeisterung durch einen einfachen Klick kundzutun. Und genauso schnell, wie sie gekommen sind, verfliegen sie auch schon. Die Aufmerksamkeit, die wir den Facebook-Dingen schenken, ist die eines ziemlich flüchtigen Moments. Gerade darin ist sie auch typisch für die punktuelle Bit-Zeit einer vernetzten Informationsgesellschaft.

Aus der relativen Kurzlebigkeit dieser Affekte kann man jedoch nicht zwangsläufig ableiten, dass sie auch nur oberflächlich empfunden werden. Die Intensität des Gefallens, die man an der Meldung über die Geburt eines Kindes oder am Instagram-Foto eines Tellers Nudelsuppe entwickeln kann, hängt vom Einzelfall ab. Außerdem ist es immer auch eine Frage des Formats des jeweiligen Beitrags, ob wir ihn liken oder kommentieren. Auf der Suche nach konkreten Daten dazu verliert man sich auch dementsprechend schnell in der Flut bunter B2B-Statistiken, mit denen Social-Media-Agenturen ihre Dienstleistungen rechtfertigend an Unternehmen verhökern wollen.

Dan Zarrella, selbsternannter social media scientist, ist eine*r unter unzähligen Goldgräber*innen, die sich mit den Erfolgsfaktoren von Facebook-Inhalten beschäftigen. Das Destillat aus den über 1,3 Millionen Beiträgen der Top-10.000-Facebook-Seiten im Sommer 2012, die er im Dienst der gutbezahlten Wissenschaft ausgewertet hat, findet sich zusammengefasst in einer hippen Infografik, mit dem Titel „How to get more likes, comments and shares on Facebook“. Und mit Abstand am meisten geliked werden laut Zarrella — surprise, surprise! — Fotos. Videos schnitten bei der Messung sogar noch schlechter ab als Textbeiträge; am miesesten performten Links. So vorhersehbar das erhöhte Like-Aufkommen für das visuelle und gleichzeitig zeitsparende Format des Bildes auch sein mag, es unterstreicht die Annahme, dass Likes überwiegend impulsiv verteilt werden.

Es geht dabei weniger darum, was, als vielmehr wessen Beitrag von wem geliked wird.

Unabhängig davon, ob wir die Dinge nun mit Inbrunst liken oder nur aus Verlegenheit — wir tun es. Und damit überantworten wir unsere positiven Affekte einem Mechanismus, der sie materialisiert, quantifiziert und metrifiziert. Der Like-Button transformiert hier innere Zustände in veräußerte Werte. Und zwar ohne die Verkomplizierung eines mehrstufigen Sterne-Systems (Modell Amazon) und ohne eine Wahlmöglichkeit zwischen positiver und negativer Bewertung (Modell YouTube) anzubieten.

Obwohl der Grundgedanke der Bewertung überall der gleiche zu sein scheint, manifestiert sich genau hier ein wesentlicher Unterschied zwischen Shoppingportal oder Content-Plattform und sozialem Netzwerk — Letzteres ist nämlich im Gegensatz zu Ersteren keiner Qualitätssicherung im engeren Sinne verpflichtet. Natürlich nimmt das Like-Barometer, das nicht unter Null fallen kann, eine gewisse Empfehlungshaltung ein, jedoch geht es dabei weniger darum was, als vielmehr wessen Beitrag von wem geliked wird: Im Fokus stehen nicht die nackten Informationen selbst, sondern die Art und Weise, wie sie in soziale Verhältnisse eingebettet sind.

Mit Differenzierungen unserer Affekte nimmt es Facebook daher auch nicht so genau. Die vielfältigen Formen von Zustimmung und Gefallen werden auf die pauschale Formulierung eines gemäßigten „to like“ eingedampft, Abstufungen sind nicht vorgesehen. Und weil unsere Likes nicht anonym sind, sondern als Datensatz in unsere Profile einfließen, weiß jeder, dem wir es erlauben, dass wir Apple, Wackelpudding und Menschenrechte mögen — ohne Unterschied.

Unterschiede machen zu können, ist allerdings nicht nur eine wichtige Voraussetzung von Genussfähigkeit (und genießen wollen wir ja die Zeit in sozialen Netzwerken, sonst würden wir sie stattdessen mit Arbeiten verbringen), sondern ist auch zwingend notwendig für eine wenigstens einigermaßen stimmige Beurteilung unserer Umgebung. Letztere steht insbesondere dann auf dem Spiel, wenn wir die ironischen und zynischen nicht von den ehrlichen Likes unter unserem Lebensereignis „Hochzeit“ unterscheiden können. Aber face to face kann das auch manchmal schwierig sein.

Mindestens genauso nebensächlich wie die Arten und Intensitäten unseres Gefallens sind dann auch ihre Beweggründe. Folglich sollte man sich im Zweifelsfall vorher genau überlegen, wann ein Like wirklich eine gute Idee ist. Der öffentliche Wechsel im Beziehungsstatus von Vergeben zu Single ist so ein Grenzfall, bei dem der arglos Likende nicht nur den frisch Getrennten verunsichern, sondern auch gleich den*die eigene*n Partner*in in Rage bringen und sich selbst zum eingetragenen Single befördern kann. Na gut, so verheerend und absolut ist das Ganze natürlich auch wieder nicht, schließlich kann ein Klick auf „Gefällt mir nicht mehr“ den Irrtum wenigstens nachträglich ein bisschen geradebiegen.

Die Bekenntnisfreude

Warum aber sind wir denn überhaupt so unglaublich scharf darauf, Dinge zu liken? Facebook meint: „Die Dinge, die dir gefallen, runden dein Profil ab und ermöglichen es deinen Freunden dich besser kennenzulernen.“ Die erste Annahme, die dieser Begründung vorgeschaltet ist: Offline- und Online- Ich sind prinzipiell eins zu eins repräsentierbar — was ich im echten Leben mag, das kann ich auch auf Facebook liken und dadurch mein virtuelles Spiegelbild kreieren. Zweite Annahme, nicht weniger banal: Mein Facebook-Profil entspricht genau dann meiner Persönlichkeit, wenn ich es gewissenhaft und vollständig mit Informationen ausfülle.

Dabei wollen wir doch vielleicht nur ein Verhältnis zu uns selbst gewinnen.

Drittens: Es existiert eine bestimmte Authentizität meines (Facebook-)Selbst, die ich durch öffentliche Mitteilung ausdrücken kann. Die Wahrheit über meine Person kommt durch das Betätigen des Like-Buttons ans Licht. Und viertens: Es besteht ein Interesse seitens meiner „Freunde“, mich auf diesem Wege kennenzulernen und dies entspricht auch meinem eigenen Wunsch.

Abgesehen davon, dass alle vier Hypothesen geradewegs zum Ausloggen einladen, wird hier die Verwandtschaft zu einer Idee deutlich, die die Menschen bereits Äonen vor Facebook zum Reden brachte: das Prinzip des Bekenntnisses. Michel Foucault sprach in seiner umfassenden historischen Aufarbeitung des ‚Bekennens‘ von „Techniken des Selbst“. Gemeint waren damit Methoden und Übungen, die Menschen helfen sollten, sich zu sich selbst zu verhalten — ein Verhältnis zu sich zu gewinnen.

Schreiben, das heißt vor allem Über-sich-selbst-schreiben, war nämlich schon bei den alten Griech*innen und Römer*innen ein probates Mittel der Selbsterfahrung, -forschung und -verbesserung. Große Männer wie Platon, Seneca und Cicero betätigten sich als manische Tagebuch- und Briefeschreiber und besonders der römische Kaiser Marcus Aurelius war berüchtigt für die minutiösen Protokolle seines Alltags, die auch vor gesundheitlichen Zipperlein, dem exakten Speiseplan oder erotischen Phantasien keinen Halt machten.

Mit dem Mittelalter und der Institutionalisierung der christlichen Moral löste, so Foucault, die Seelsorge der kirchlichen Pastoralmacht die antike Form der Selbstsorge ab: In Buße, Beichte und Geständnis fanden der Zwang zum Bekennen und das eigene Begehren zu gestehen zusammen, wobei diese vornehmlich mündlichen Verfahren nun auch die des Lesens und Schreibens unkundigen Bevölkerungsteile einschlossen. Man könnte also von einer Popularisierung des Geständnisses sprechen.

Heute, so schreibt Foucault bereits 1976, seien wir uns des Zwangscharakters nicht einmal mehr bewusst, mit dem uns von überall Geständnisse entlockt — oder besser gesagt: entrissen — werden. Diese Verschleierung lässt uns glauben, die Wahrheit unseres Selbst wolle ganz von allein aus uns heraussprudeln — eine Diagnose, die (trotz Foucaults Unkenntnis sozialer Netzwerke) verblüffend gut auf Facebook anzuwenden ist.

Denn insbesondere zwischen der harmlos als Frage „Was machst du gerade?“ verpackten Aufforderung zum Status- Update und dem Like-Button sind wir der Überzeugung, öffentliche Bekenntnisse, wie wir sie in sozialen Netzwerken ablegen, würden in irgendeiner Form läuternd, befreiend auf uns wirken. Und zwar nicht nur, wenn es um Sex geht — das Lieblingsbeispiel Foucaults schlechthin — sondern um die irrelevantesten Details unseres banalen Alltags. Indem wir uns derart mitteilen, sei es durch episch formulierte Statusnachrichten oder ein systematisches Portfolio an Likes, wenden wir uns einem Publikum zu, das früher aus dem Inquisitionsgericht, dem Beichtvater oder der Brieffreund*in bestand. Dabei wollen wir doch vielleicht nur — ganz im ursprünglichen Sinne des Bekenntnisses — ein Verhältnis zu uns selbst gewinnen.

I like you and you like me

Liken ist keine Einbahnstraße: Wer etwas postet, erwartet Likes. Und wer etwas liked, der fordert indirekt auch zu einer Gegenreaktion auf, immerhin weiß er, dass die*der Urheber*in des gelikedten Beitrags sofort über diesen Vorgang in Kenntnis gesetzt wird. In diese gegenseitige Erwartungshaltung kann man entweder ein egoman-kapitalistisches Kalkül hineinlesen, nach dem hier Leistung nur für Gegenleistung erbracht wird, oder man erkennt darin das Aufblitzen des altmodischen Prinzips Geben und Nehmen.

Beispiel: Ernie liked Berts Profilfoto, weil Ernie sich auch freuen würde, wenn jemand (zum Beispiel Bert) seines liken würde. Dieses Denkmuster kennen wir in unzähligen Varianten. Als mehr oder weniger konkret ausformulierte Gebote der großen Religionen, als evolutionäre Überlebensstrategie des wechselseitigen Tausches, in Kants Kategorischem Imperativ, als konfuzianistische Lebensweisheit oder als Quidproquo der alten Römer*innen.

Oder natürlich in Form expliziter T-Shirt-Sprüche à la „Wer ficken will, muss freundlich sein“. Begreifen wir Facebook-Likes als Ausdruck einer solchen sozialen Höflichkeit, dann setzt diese womöglich auch eine allseitige Rücksichtnahme darauf voraus, dass wir uns alle in sozialen Netzwerken tummeln, um gemocht zu werden.

Insofern richtet Facebook auf paradoxe Weise — nämlich willentlich und gleichzeitig unwissend — einen Ort im Internet als Trainingsstätte für soziales Verhalten ein, die trotz der — gewollten — ökonomischen Ausschlachtung erzieherische Aufgaben erfüllt — wovon Facebook eher nicht viel weiß. Neben der blasierten Kritik am Währungscharakter der Facebook-Likes kann man also, wenigstens ab und zu, den Tauschhandel der Aufmerksamkeiten anerkennen, den der Like-Button generiert und der uns nun wirklich nicht unbedingt zu schlechteren Menschen macht. Natürlich lässt sich das Ganze theoretisch auch auf die Spitze treiben, indem man Likes zu liken beginnt — und vielleicht führt Zuckerberg diese Funktion ja auch eines Tages ein, wenn er herausgefunden hat, wie er mit einer solchen Endlosschleife der Like-Produktion noch mehr Geld verdienen kann.

Weshalb uns das Geliked-Werden so angenehm den Rücken runterrieselt, muss man eigentlich nicht erst erklären. Wessen Foto oder Statusmitteilung geliked wird, der fühlt sich belohnt — aber wofür? Sehr oft nicht unbedingt für künstlerische, geistreiche oder kritische Inhalte, sondern schlicht und ergreifend für seinen Geschmack. Und dass dessen Hauptaufgabe darin besteht, distinktiv zu wirken, gehört zu den Gemeinplätzen seit Pierre Bourdieu.

Was heißt das aber im Facebook-Kontext? Wer einen Beitrag auswählt und postet, der*die demonstriert einen bestimmten (aus eigener Sicht guten) Geschmack und hofft dabei auf dessen Anerkennung. Sollten besonders viele und / oder sehr geschätzte Freund*innen den Beitrag liken, kann man sich als Träger*in guten Geschmacks legitimiert fühlen. Wer wiederum einen solchen Beitrag liked, der gesteht automatisch, dass er den Geschmack des*der Urheber*in des Beitrags teilt, ihn als gut bewertet.

Damit rückversichern sich sowohl Likende als auch Gelikedte gegenseitig und stärken ihre (virtuelle) soziale Bindung. Das ist aber nicht das einzige, was sie dabei tun, denn wie Bourdieu treffend bemerkt: „Geschmack klassifiziert — nicht zuletzt den, der die Klassifikation vornimmt.“ Der Akt des Likens ist somit einer der „sozialen Selbstverortung“, die wiederum in einem durch geteilte Unterscheidungen entstehenden, gemeinsamen Lebensstil aufgeht.

Weit davon entfernt, hier einen Vorschlag unterbreiten zu wollen, welche Art von Facebook-Beitrag dem legitimen, mittleren oder populären Geschmack zuzuordnen sei — man bedenke, Bourdieu hat diese Terminologie im Frankreich der 60er und 70er Jahre entwickelt und seitdem hat so mancher erkannt, dass die Welt nicht nur hohe und einfache Kultur kennt — muss jedoch berücksichtigt werden, dass sich die am meisten gelikedten Facebook-Pictures weniger durch eine bestimmte Thematik als vielmehr durch einen leicht verständlichen Humor auszeichnen.

So sind etwa Facebook selbst, seine Nutzer*innen (also wir) oder die Logik sozialer Netzwerke an sich besonders oft Gegenstände des Gelächters. Dabei wird auffallend oft entweder die eklatante Abweichung des Facebook-Images von der tatsächlichen Persönlichkeit oder gerade das Verwischen von Realität und Cyberspace aufgegriffen. Jede*r, aber wirklich jede*r, kann sich davon angesprochen fühlen, außer vielleicht die wenigen moralischen Leuchttürme unter uns, die gerne mal von durchschnittlich 200 Leuten für hässlich, dumm oder unsexy gehalten werden.

Wie dem auch sei: Geschmack bedeutet immer das Urteil über sich und andere, weshalb es im Fall von Facebook konsequenterweise vor allem deutlich subjektive Beiträge sind, denen eine Flut von Likes entgegenschwappt. Das behauptet zumindest die bereits erwähnte Statistik von Zarrella: Je höher die Anzahl selbstreferenzieller Formulierungen (etwa mittels Personalpronomen) eines Textbeitrages und je ausgeprägter seine entweder positive oder negative Attitüde ist, umso bessere Chancen hat er, ein Like-Liebling zu werden. Wenn dieser Selbstbezug die Like-Vergabe pusht, dann verdeutlicht das im Grunde nur, was wir sowieso schon ahnen: Dass das Veröffentlichen von Dingen vor allem ein Vorwand ist, uns selbst gemocht zu sehen, und dass, je intensiver Facebook uns liked, wir umso inniger Facebook liken.

In das Bild unseres Selbst, das wir durch all die öffentlichen, portionierten Mitteilungen erzeugen wollen, gehen Likes dann als Index der Beliebtheit unserer Datenhäppchen und damit unserer (virtuellen) Person ein. Was andere darüber aussagen, was wir über uns selbst aussagen, wird so zu einer Art Referenzliste nach dem Motto: „Und folgende Freund*innen finden mich gut“. Auf diese Weise konstruieren sowohl die Likes, die wir selbst tätigen, als auch die, die wir von anderen erhalten, unser Facebook-Ich, von dem wir grundsätzlich glauben, es decke sich mit unserer analogen Version. Um das, was man also die produktive Qualität des Like nennen kann, tanzt dabei permanent unsere Eitelkeit, die sich zum Glück nicht immer selbst zu ernst nimmt.

Die wohlwollende Bekenntnis-Kultur des Likes

Genau diese Haltung sollten wir auch hin und wieder einnehmen, wenn wir uns über das aufregen, was Facebook mit uns macht. Denn der Like-Button an sich ist gar nicht so sehr das Problem, sofern wir ihn als das begreifen, was er wirklich ist. Facebook bildet unsere Welt nicht ab, es beeinflusst höchstens unsere Sicht darauf.

Ein Dislike-Button würde das ganze System sabotieren.

Und genau darum geht es auch: Eine Haltung zu entwickeln, die uns nicht von vornherein als digital victims in Ketten legt, sondern die die Möglichkeit gibt, mit unserer Kritik auch an den Punkten anzusetzen, die produktiv erscheinen. So einen kann man erkennen, wenn man auch sieht, was der Like-Button nicht ist: Ein Dislike-Button etwa. Vielen fehlt ein solcher offenbar (mindestens den 2,1 Millionen Liker*innen der Facebook-Gruppe „We want a dislike option“), aber es gibt Gründe, warum diese Leute sich (bisher) nicht durchgesetzt haben.

Der offensichtlichste: Das Fehlen des Dislike-Buttons erklärt sich durch das Erlösmodell der Gattung Social Media selbst. Hier geht’s ums Netzwerken, Teilen, Gruscheln und Stupsen — kurz: ums Beliebtsein. Ein Dislike-Button würde das ganze System mit schlechtem Karma sabotieren und Facebook der Gefahr aussetzen, zum Anti- Social-Network zu mutieren und über kurz oder lang Marktanteile zu verlieren. Denn einer beliebten Binsenweisheit des Social Web zufolge erzeugt eine destruktive Information keine viralen Effekte und folglich keinen ökonomischen Mehrwert.

Aber sollte der wahre Grund für das Aussterben von StudiVZ & Co. tatsächlich nur darin bestehen, dass man dort Bilder mit „Nicht mein Fall“-Buttons bewerten kann? Wahrscheinlich nicht. Stattdessen könnte man also unken, dass sich der als soziophober Nerd ohne Gewissen verschriene Zuckerberg einen so offensichtlich destruktiven Clou wie den Dislike- Button imagetechnisch gar nicht leisten kann und vielmehr darauf angewiesen zu sein scheint, wenigstens die firmenpolitische Flagge des positive thinking zu hissen, als wäre er tatsächlich ein Philanthrop.

Scheinbar niemand ist bisher auf die Idee gekommen, die Abwesenheit des Dislike-Buttons als Ausdruck einer Kultur des Wohlwollens zu werten, in der das Liken die Funktionen einer Kulturtechnik übernimmt. Eine solche Deutung passt ja auch recht schlecht in den Reigen der gängigen Verfallserzählungen unserer Zeit und würde ihre Vertreter*innen der Gefahr aussetzen, als blauäugige Optimist*innen zu gelten.

Und dennoch: Das Liken stellt eine Möglichkeit dar, soziale Beziehungen im Netzwerk und den Umgang mit virtuellen Inhalten zu regeln. In seiner alltäglichen Anwendung ist das Liken eine routinierte Kommunikationspraktik, die mit einfachsten Codes (Liken, Unliken, Ignorieren) operiert. Die Figur des Like-Buttons erstreckt ihre Ausläufer bis in den alltäglichen Sprachgebrauch (und eines Tages wohl auch bis in den Duden), findet sich als Kultmotiv auf Tassen und Unterwäsche wieder und hat sich in den Köpfen der Facebook-User als Emblem digitaler Anerkennung und als Inbegriff sozialen Netzwerkens etabliert.

Damit wirkt das Liken an der Konstitution einer medialen Kultur mit, die unsere soziale und ökonomische Wirklichkeit maßgeblich mit hervorbringt. Eigentlich ein Grund, dem blauen Daumen weniger Misstrauen und mehr offene Neugier entgegenzubringen.

I like my world!

Mag sein, dass die Weigerung, einen Dislike-Button einzuführen, ursprünglich der prüden und konfliktscheuen Denke amerikanischer Konzernideologie geschuldet ist, die sich gerne im Schein der political correctness sonnt — dennoch manifestiert sich darin eine Form des Anstandes, an dem es im Social Web oft genug mangelt. Wenn die Hüter*innen des Internets dessen teuflisches Mobbing-Potential beweinen, sollten sie daher nicht vergessen, dass nicht immer der Wunsch zu schaden Vater des Gedankens sein muss. Der neue Anstand, als dessen genormtes Format das Liken fungiert, wird überdies auch von der Netzgemeinde selbst verteidigt, indem diese einen rudimentären Ehrenkodex des Likens in Umlauf bringt.

Wie der aussehen soll? Nun ja, er lässt sich weitestgehend einschmelzen auf die Kernaussage: „Liking your own status is like sucking your own dick“. Obwohl und gerade weil hier offensichtlich eine gesunde Portion Ironie mit im Spiel ist, kann man die implizite Kritik am Unterlaufen des Like-Prinzips nicht in Abrede stellen. Die verschiedenen im Netz kursierenden Variationen (z. B. „Liking your own status is like sucking your own dick. False. I am able to like my own status“) dieses Satzes demonstrieren daher nicht nur, dass das beschriebene Motiv das Zeug zum Internet Meme hat, sondern auch, dass auf diese Weise eine Form der Selbstregulierung des Verhaltens in sozialen Netzwerken möglich wird.

Die Like-Kultur lässt insgesamt vermuten, unsere Haltung in sozialen Netzwerken könne besser durch Affirmation statt durch Aversion beschrieben werden. Damit stellt sich eine Aufgeschlossenheit unseren Mitmenschen und den Dingen der Welt gegenüber jenen Tendenzen in den Weg, die eine permanente Distanz insbesondere gegenüber technologischen Eingriffen neuer Medien fordern und unser modernes Weltverhältnis stets aus einem konservativen Blickwinkel beurteilen.

Spätestens mit der offiziellen Einführung des Kulturpessimismus in den gesellschaftlichen Diskurs hat sich das Klischee eines aufgeklärten, notorisch kritisierenden und niemals begeisterten Gutmenschen entwickelt, der hinter jedem gesellschaftlichen Massenphänomen den Verlust von Qualität, Authentizität und so weiter wittert und seine Abneigung gegen alles, was mit Kommerz und Technik zu tun hat, als intellektuelle Überlegenheit feiert.

Aus einer solchen Perspektive kann die Like-Kultur in der Tat nur als Entfremdungsmechanismus gelesen werden, mit dem Konzerne uns durch den Diebstahl persönlicher Daten ausbeuten. Phänomene wie Likejacking oder der Verkauf von Likes (2000 garantiert deutsche Facebook-Likes gibt es schon für etwa 80 Euro auf ebay, Versand kostenlos) mögen dazu beitragen, Likes pauschal als mehr oder weniger ausgehöhlte Phantome ohne menschliche Substanz anzusehen. Aber verhilft uns das Leugnen aller freundlichen Aspekte wirklich zu einer konstruktiven Stellungnahme? Kann eine Opposition jemals etwas bewirken, wenn Dagegensein ihre einzige Strategie ist?

Begreifen wir Facebook-Likes also zur Abwechslung als Elemente einer positiven Bekenntniskultur, die durch Wohlwollen, Freundlichkeit und Anstand am Laufen gehalten wird und in der sich die Menschen nicht in negativer Distanz von etwas ab-, sondern bejahend den Dingen zuwenden und damit der distinktiven Selbstverortung etwas von ihrer Arroganz nehmen. Wenn wir uns sonst schon nicht mehr entscheiden können oder wollen — Halbfett-Joghurt, aber bitte mit vollem Geschmack, verpackungsintensiver Coffee to go aus Recycling-Karton, wo es auch eine Tasse täte, feste Beziehung, aber bitte ohne Eifersucht, Sex ohne Konsequenzen, Sportwagen mit Umweltplakette — tut es doch ganz gut, sich einfach mal vom ständigen Nörgeln zu entlasten und anderen stattdessen eine Freude zu machen.

Und vergessen wir eines nicht: Indem wir uns durch Statusnachrichten, Posts und Likes einander mitteilen, versuchen wir eine gemeinsame Wahrnehmung zu erzeugen, die unsere Welterfahrung erst wirklich real erscheinen lässt. Denn Begriffe, Werte, Gefühle und Gedanken werden glaubwürdiger und erscheinen realer, wenn wir sie nicht allein, sondern geteilt nutzen, hegen, empfinden oder denken.

Diese Ansicht vertrat auch der Papst des Radikalen Konstruktivismus, Ernst von Glasersfeld, der sich eingehend damit beschäftigt hat, wie Menschen ihre Mitmenschen nach ihrem eigenen Bild und ihre Umwelt aus der eigenen subjektiven Erfahrung heraus konstruieren und Wirklichkeit über subjektive Erwartungsschemata benötigt laut Glasersfeld soziale Interaktionen, da sich in ihnen die jeweiligen Konstruktionsmodelle entweder bestätigen oder als falsch erweisen und gegebenenfalls angepasst werden.

Für das Liken hat dies folgende Konsequenz: Wenn unsere Facebook-Freund*innen unserer Erwartung gemäß das selbe wie wir oder unsere eigenen Einträge liken, dann bekräftigt das unsere individuelle Erfahrungswirklichkeit und verleiht ihr notwendige Stabilität. Insofern erfüllt das Liken lediglich unser Bedürfnis nach einem Weg, so etwas wie Sicherheit darüber zu erlangen, dass wir die Wirklichkeit nicht vollkommen verdreht wahrnehmen. Facebook hat diesen Weg einfach nur so schnell und zugänglich und durch maximale Reduktion von Komplexität so unmissverständlich wie möglich gemacht.

Unsere Welt, so könnte man in diesem Sinne sagen, ist nichts anderes als das, was uns gemeinsam gefällt. Wenn sich also das nächste Mal Teenager lauthals über alles und jeden beschweren, dann denken wir daran, dass sie dank Facebook wenigstens nicht vergessen können, dass es wichtig ist, zwischendurch auch mal etwas gut zu finden.