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Drunter, drüber, vorne, hinten

Fünf fantastische Planspielanleitungen.

Je mehr das blitzrasante Chaos zum Normalzustand der Welt wird, umso weniger hilft es, neue Pläne zu schmieden. Strategien reichen nur noch bis zur nächsten Ecke. Utopien sind lächerlich. Großen Erzählungen will niemand mehr folgen. Es fehlt einfach die Zeit. Und die Geduld fehlt sowieso. Ziele kann man knicken, bevor man sie notiert. Gelernt werden muss ein anderer Umgang mit der Idee, man könne noch etwas entwerfen, an dem sich die nächsten Schritte in die nächste Zukunft ausrichten lassen. Gewinner im großen Durcheinander wird sein, wer in der Lage ist, neue Planspiele als Spiele mit Plänen zu entwerfen, um Effekte zu generieren, mit denen niemand gerechnet hat.

Mach es wie die Planästheten

Die Planästheten planen Romane, die sie nicht schreiben. Sie planen Ausflüge und fahren nicht los. Sie planen Projekte und verzichten darauf, sie zu realisieren. Denn den Planästheten geht es um den Plan an sich. Sie haben die Schönheit des Planens im Selbstzweck der Planung entdeckt. Sie sind fasziniert von der Geste des Entwerfens. Auf Servietten zeichnen sie mit leichten Strichen Pläne als offene, in die Zukunft weisende Bewegungsfiguren. Anschließend werden sie gerahmt und kommen zum Galeristen. Die Kalender und Journale der Planästheten sind aufwändig geschmückt mit tausenden von bunten Kästchen für einzelne Schritte. Dazu grobe Kästen für Phasen. Und in sich bizarr verworrene Gitter für erwartete Transformationen. Planästheten erfinden Zeichen, Symbole, neue rätselhafte Sprachen des Verweises von Stufe zu Stufe. Sie drucken Quadrate, Kreise und Pfeile mit gestochenen Platten aus Kupfer, gekerbten Linoleumscheiben oder großen Sieben auf samtweich befeuchtete Büttenpapiere. Auf riesige Leinwänden streichen sie dicke, sämige Farben, kleben Seiten aus Büchern oder Reste von Stroh hinein und schreiben mit Filzstift „Das wollen wir, das kriegen wir hin“ darunter. Budgets, Ressourcen, Zeitbedarfe erscheinen als monadische, sinnverschlossene Objekte aus Bronze und Lehm im Raum. Methoden werden getanzt. Strategien werden gesungen. Klar definierte Aufgaben werden als Kennzahlen mit Laser in den dunklen Nachtwind auf die offenen Erwartungshorizonte geschrieben. „Wow!“, ruft dann das orientierungslose Publikum und ist einen schönen Moment lang einfach hin und weg.

Bunte Kästchen für einzelne Schritte. Dazu grobe Kästen für Phasen.

Oder mach es wie die Retrofitter!

Die Retrofitter wissen: Es ist sinnlos, für eine ungewisse, chaotische Zukunft zu planen. Deshalb schmieden sie Pläne. Aber rückwärts. Sie interessieren sich für das, was gerade eben passiert ist. Und für das, was vorhin und gestern und an den Tagen davor geschah. Retrofitter haben den Blick für vergangene Wochen, Monate und Jahre. Es gibt Retrofitter für den eigenen Lebenslauf. Es gibt Retrofitter für den Lauf der Welt durch die Jahrhunderte. Manche Retrofitter schauen sogar bis zum Big Bang zurück und verfolgen dann von dort aus Schritt für Schritt, was bis in ihre Gegenwart hinein in welcher Reihenfolge und welchem Zusammenhang an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten vor sich ging. Mit der Erkenntnis: Alles folgte immer irgendeinem tollen Plan. Und wenn es keinen gab, dann lässt er sich im Nachhinein noch so erfinden, dass alles, was passiert ist, passt. Daraus speist sich die ungeheure Sicherheit, mit der die Retrofitter selbst in unsichersten Zeiten ihr Leben leben. Niemand startet so unbeschwert ins unabsehbare Durcheinander des nächsten Tages. Niemand freut sich so sehr auf das nächste Projekt. Und niemand gibt sich so sehr an den eigenen Tod hin wie sie. Denn morgen schon erklären sich die Retrofitter, welchem Plan sie heute gefolgt sind. Sie wissen, dass sie zu keiner Zeit planlos waren. Und dass sie auch nie planlos sein werden. Retrofitter sind schon immer aufgehoben in dem, was vorzuhaben sie sich hätten vornehmen können, aber nicht mussten, weil es ja schon vorgenommen und dann auch mit schlafwandlerischer Sicherheit erfüllt war, als sie noch gar nicht daran dachten. Aber jetzt. Und jetzt. Und jetzt. Wenn man Retrofitter ist, ist Planerfüllung immer.

Folge den Ideen der Plankopisten!

Die Plankopisten haben Spaß am Experiment. Sie suchen sich bereits existierende Pläne und probieren sie aus. Warum etwas Neues erfinden, wenn doch schon alles da ist? Plankopismus ist sowas wie das Jackass für rationale Zukunftsbewältigung. „Hi, my name is Johnny Knoxville and this is Combat my acne with grandma’s good old drug list for the treatment of varicose veins.” Plankopisten fahren nachts mit Straßenkarten aus dem Antiquariat an der Steilküste entlang. Sie studieren modische Fächer auf Master. Aber mit Stundenplänen, die gültig waren, als die Mama noch Diplome machen konnte. Aus lauter Lust an wirklich ausgefallenen Spielchen halten sie sich beim Sex an die Vorgaben der in der “Enzyklika Humanae Vitae” päpstlich verordneten „Natürlichen Familienplanung“ von 1968. Bei der nächsten Swingerfreizeit spielen sie dann Kapitel für Kapitel „Die hundert Tage von Sodom“ mit verteilten Rollen nach. Plankopisten richten Start-ups am Handbuch von Apollo 13 aus. Oder an Fünfjahresplänen für die Energieindustrie der Sowjetunion. „Viele Investoren lieben das“, sagen die Plankopisten. „Je abgefahrener der Plan, umso sicherer die Unterstützung.“ Wenn sowieso fast alles an die Wand fährt, warum dann nicht mal etwas ausprobieren, was völliger Quatsch ist. Aber immerhin Quatsch mit System. Und dabei so furchtbar blöd ist, dass es heute mit etwas Glück, Zuversicht und eigener Blödheit alles doch noch wieder gut werden kann.

Werde Fan der Agilisten!

Die ganze Welt wird komplexer? Alle müssen flexibler und schneller werden, um auf die rasanten nichtlinearen Veränderungen zu reagieren? Die Agilisten haben es begriffen und stellen sich blitzschnell darauf ein. Festlegungen sind schwierig. Strukturen machen Angst. Regelungen hemmen die Bewegung. Wer im nächsten Moment noch macht, was gerade eben gültig war, der riskiert, den Anschluss zu verlieren. Disruption regiert. Langfristig ist out. Mittelfristig ist Lüge. Selbst Kurzfristigkeit erscheint den Agilisten auf bedrohliche Weise zu lang. Geplant wird deshalb knapp unterhalb der Schwelle der Wahrnehmbarkeit von Moment zu Moment. Was man nicht sehen, aber spüren kann, wenn man agil ist: Jeder Augenblick ist prall gefüllt mit Arbeit an Plänen, die den Ist-Zustand erfassen, das Soll präzisieren und die Ziele definieren. Und noch vorm nächsten Wimpernschlag geht es los. Mitarbeiter rasen von Meeting zu Meeting. Das Brainstorming tobt. Der Ideenzirkel rotiert als Stroboskop. Das Controlling checkt sich selbst etwas schneller als in Echtzeit. Präsentationen werden auf Dauer gestellt. Fallen die Agilisten vor Erschöpfung in den Sekundenschlaf, rasen vor ihren Augen die Pläne in solcher Geschwindigkeit vorbei, dass sie den Eindruck haben, sie folgen einer von ihnen selbst geschriebenen Serie mit unendlich vielen Staffeln mit unendlich vielen Folgen mit unendlichen Erzählung von Heldenreisen, in denen es für jeden von ihnen unendlich viele Abenteuer in unendlich vielen Variationen zu bestehen gibt, und niemals hört es auf, immer geht es weiter. Jedenfalls dann, wenn man agil bleibt.

Oder mach es wie die Missionare!

Die Missionare haben, so heißt es, den Menschen auf den Reisen in die Südsee eine Kopulationsvariante vorgeführt, die das mit dieser Art des doppelfrontalen Fickens gänzlich unbekannte Publikum nicht nur lustig, sondern auch beschränkt und langweilig fand. Der eine liegt oben, die andere unten. Rein und raus. Raus und rein. Das wars. Was immer sonst noch möglich war, galt für die Missionare als Barbarei und Sünde. Die Missionarsstellung aber galt fortan als Mainstream. So macht man es halt, wenn man es macht, auch wenn man es anders machen könnte. Man muss es halt hinter sich bringen. Und wer weiß, wofür es gut ist. Das gilt erst recht für alles, was mit dem Planen zu tun hat. Im ganzen Durcheinander der inflationären Empfehlungen für die richtigen und falschen Ausrichtungen auf eine ungewisse Zukunft macht es aus missionarischer Perspektive ja auch irgendwie Sinn, sich an das zu halten, was als üblich und angemessen gilt. Normcore is planning home! Man macht halt einfach seine Pläne. Dann hat man immer was parat, wenn man gefragt wird. Planung als Alibi und Nachweis, dass man sich ja doch irgendwie Gedanken macht und nicht nur einfach planlos vor sich hin agiert. Stundenpläne wie immer. Haushaltspläne, die nur von einem in den anderen übertragen und dann sauber fortgeschrieben werden. Karrierepläne, die sich an den üblichen Phasen und Stufen orientieren. Finanzpläne, die im Rahmen des Gegebenen bleiben. Business as usual. Alles nach Plan. Das funktioniert dann zwar auch nicht. Aber wenn sowieso nichts geht, dann geht es eben auch so. Und hinterher kann man immer noch sagen, dass man sich mit ein bisschen Mühe am wenigsten Mühe gemacht hat. Rein und raus. Raus und rein. Das wars. Man muss es halt hinter sich bringen. Wer weiß, wofür es gut ist.