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Die Zukunft der Literatur

Oder wie uns die Planwirtschaft befreien könnte.

Entsprechend der Überschrift des Magazins, das aufgeschlagen vor Ihnen liegt, wurde ich gebeten, ein Gedankenstück über die Planbarkeit von Literatur zu schreiben. Ich will die Gelegenheit der mir hier zur Verfügung stehenden Zeichen nutzen, in diesem Sinne einige Erkenntnisse vorzustellen, die offen auszusprechen bis heute ein unabänderlich vorherrschendes Tabu verhindert. Ich werde mich also gleichsam opfern, auszusprechen, was ausgesprochen werden muss:

Ein Kunstwerk ist besser, je besser es geplant und je besser dieser Plan ausgeführt ist, ein Team kann besser planen als eine Einzelperson, und Schriftsteller*innen-Individuen sind in ihrer Begabung natürlicherweise beschränkt.

Wenn man von dieser Grundeinsicht ausgeht, liegt auf der Hand, warum der traditionalistische Solipsismus unserer hoffnungslos anachronistischen Literaturproduktion seit bereits mindestens einem Jahrzehnt von den Erzeugnissen jedes anderen Genres übertroffen wird – denn überall anders bündeln Kunstschaffende ihre Fähigkeiten.

Sogar die Werbebranche ist der Literatur seit Jahren an Originalität, Subversivität und Ambivalenz voraus.

Nicht nur die Avantgarde der im Kollektiv arbeitenden amerikanischen Serienmacher*innen, die auf dem Feld der Narration alles zuvor Dagewesene in den Schatten gestellt hat, sondern sogar die Werbebranche hierzulande ist der Literatur seit Jahren an Originalität, Subversivität und Ambivalenz voraus. Um nur den Coca-Cola-Parallelwelten-Zyklus von Plantage Berlin mit Manuel Neuer zu nennen – einem Vergleich mit solch milieugetreuer und dennoch zynischer Rollenprosa hält keine aktuelle Literatur mit ihrem Kunstsprachenmanierismus stand. Nur ein gut ausgewogenes Team spezialisierter Texter*innen ist in der Lage, Werke von diesem Niveau zu erdenken.

So spreche ich nun aus, womit uns zu konfrontieren wir nicht mehr vermeiden dürfen: Unsere Literaturproduktion ist längst nicht mehr zeitgemäß. Auf dem globalen Markt wird sie angesichts jeder anderen künstlerischen Produktion den Anschluss verlieren, wenn sich in ihrer Organisation nicht bald schon grundlegend etwas ändert.

Diese Einsicht ist mitnichten ein Abgesang auf die Literatur – es bedarf nur des Mutes, zu handeln. Und wir haben Vorbilder.

Der Visionär und Zeit seines Lebens vom Literaturestablishment geschmähte Schriftsteller Arno Schmidt hat die neue Literaturproduktion in seiner „Gelehrtenrepublik“ bereits 1957 vorausgedacht. Was bei ihm noch in Form einer Science-Fiction beschrieben wird, weist bereits richtungsführend die Arbeitsteilung der angestrebten kommunalen Literaturproduktion auf: Schmidt beschreibt, wie Spezialisten für die einzelnen Disziplinen wie Figurenzeichnung, Plotting, Landschaftsbeschreibung etc. zusammen an einem Roman arbeiten, der qualitativ alles übertrifft, was ein einzelner Arbeiter des Geistes je im Stande sein wird zu leisten. (In dem Sinne wundert es nicht, dass Arno Schmidt in seiner Erzählung – zur Zeit des Kalten Krieges entstanden – zwei konkurrierende Lager entwirft, deren sowjetischer Part, geübt in der Planwirtschaft, die weitaus bessere Literatur herstellt.)

In unserer Gesellschaft gibt es wenige Bereiche, die rückschrittlicher sind als Cliquen von sich der Hochkultur zurechnenden Kulturschaffenden.

Durch die Schaffung von Expert*innenteams aus Autor*innen, Lektor*innen, Dramaturg*innen, Marktforscher*innen und anderen nach Schmidt'schem Leitbild einer „gemeinschaftlich-planwirtschaftlich organisierten Literatur“ wäre es nicht nur möglich, die Relevanz der Literatur im Konkurrenzrahmen zu Künsten anderer Medien zu retten, eine derartige Literaturproduktion hätte darüber hinaus weitere wünschenswerte Implikationen.

Das Ideal der Genderneutralität im Literaturbetrieb könnte endlich erreicht werden. Hinter den Kulissen arbeiten sowohl Frauen als auch Männer und überwinden endlich das den Fortschritt ewig bremsende, patriachale Ideal des genialen, einzig aus sich selbst heraus schöpfenden Künstlertypus. Auf Buchdeckeln ist nicht mehr länger der Name eines einzelnen Menschen zu lesen, sondern der einer Gruppe: VEB Literatur, Sektion II: Belletristik. Der Geniekult der Moderne wäre überwunden und dessen letzte Epigonen, die Noel Gallaghers, David Foster Wallaces und Damien Hirsts, endgültig besiegt.

Letztendlich darf dieses Moment sogar nicht nur als Nebeneffekt einer besseren, unsere Gesellschaft in Toleranz, Humanismus und Freiheit befördernden, zeitgemäßen Kunstproduktion erscheinen, sondern es ist gleichsam einer der Kernpunkte ihrer Leistung.

In unserer Gesellschaft gibt es wenige Bereiche, die rückschrittlicher sind als Cliquen von sich der Hochkultur zurechnenden Kulturschaffenden. Zur hemmungslosen Exaltiertheit neigende Künstler*innen-Darsteller (selbst Christian Kracht hat in Denis Schecks Literatursendung „Druckfrisch“ zugeben müssen, Gefahr zu laufen, zum Schriftsteller-Darsteller zu werden), die sich faul, selbstgefällig und arrogant für bessere Menschen halten, noch ihre Schwächen für Stärken verkaufen und glauben, Kreativität und Erfindungsgabe für sich gepachtet zu haben. Gesellschaftlich ungestraft frönen sie der Kompensation ihrer degenerierten Charaktere und sind mithin die letzte Bastion des individualistischen Narzissmus, der offen ausgetragenen Missgunst gegenüber Kolleg*innen, des Patriarchats.

Nicht dass der bereits teilweise realisierte Übergang zur Literatur-Kommune, ich meine hier die als erfolgreiche Start-ups in Erscheinung tretenden Autoren*innen mit ihrer in der Mehrzahl weltverbessernden und auf moralische Aussagen gerichteten pädagogischen Kunst, sonderlich viel mehr zu bieten hätte – aber auch sie werden ihren individuellen Talenten entsprechend aufgehen in den demokratisch organisierten Arbeitsgemeinschaften für eine konkurrenzfähige Literatur.

Ein Kunstwerk ist besser, je besser es geplant ist, ein Team kann besser planen als eine Einzelperson, und Schriftsteller*innen-Individuen sind in ihrer Begabung natürlicherweise beschränkt.

Auch wird es auf diesem Weg (der nicht mehr in die Selbstständigkeit gezwungenen, sondern im Kollektiv und in Gemeinschaftsbüros arbeitenden Schriftsteller*innen) erstmals möglich sein, freies künstlerisches Arbeiten zu messen und so die ewig von geheimen Projekten sprechenden Künstler*innen-Simulanten von den wirklich mehrere Stunden am Tag arbeitenden Künstler*innen zu unterscheiden und deren Leistung in Form eines Stundenlohns zu vergüten. Womit nicht zuletzt das Lamentieren über schlechte Bezahlung im Kulturbetrieb und larmoyante, letztendlich wichtigtuerische und eigentlich unsinnige Neologismen wie „Selbstausbeutung“ mit ihrer Nervtöterei ein für alle Mal vom Tisch wären.

In kleinen Teams arbeitende Schriftsteller und Schriftstellerinnen würden wie nebenbei in ihren Talenten gefördert und gefordert, könnten ein Leben in beruhigender Routine leben, unterteilt in Arbeitszeit und Freizeit, wären erlöst vom neoliberalen Karrieredruck und würden vor allem eine Kunst schaffen, die befreit wäre sowohl von narzisstischer Angeberei, der Fokussierung auf marktrelevante Themen als auch überhaupt von jeder Selbstrechtfertigung. Letztendlich also ist die kollektive Literaturproduktion die einzige Möglichkeit für das Fortbestehen der Freiheit von literarischer Kunst.

Von Literatur überhaupt.