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And the beat goes on

Samples und Loops als Figuren der Zeit.

Randy Savage, auch bekannt als Macho Man, dreht sich mehrfach um die eigene Achse. Dem irritierten Reporter wirft die Wrestlingikone ein steroidgeladenes „The beat goes on, hmm YEAH! … And the beat goes on!“ an den Kopf. Manisch grummelnd und keifend philosophiert er über seinen Platz in der Wrestlingwelt und erklärt, wie er seinem Rivalen, dem Honky Tonk Man, mit telepathischen Kräften beikommen will. Die archaisch-martialische Inszenierung der Wrestlingkämpfe und die ebenso inszenierte Interviewsituation im Jahre 1987 fallen hier mit einem denkwürdigen Moment zusammen: Das Sich-im-Kreis-Drehen des Wrestlers, was in seiner Kreisförmigkeit gleichzeitig einen Stillstand und ständige, stagnierende Wiederholung impliziert, fällt versetzt mit dem nach vorn treibenden, weiterlaufenden Beat zusammen. Mit dieser Bewegung und seiner Äußerung verbildlicht Savage eine Zeitlichkeit, die auch einem ganz anderen Phänomen dieses ausgehenden Jahrzehnts innewohnt: den samplebasierten Beats.

Heute hört man Samples schon lange nicht mehr nur im Hip-Hop. Über die Zeit haben sie Eingang in alle möglichen musikalischen und klanglichen Richtungen gefunden. Glo-Fi, Lo-Fi und die abebbende Chillwave bedienen sich vermehrt alten, neu bearbeiteten Materials. In dem aus Samples bestehenden Beat formuliert sich ein Einvernehmen verschiedener Zeiten, das nicht nur exemplarisch für die Beats selbst steht. Die rhythmisierten Samples führen Kreisförmigkeit und Vorwärtsbewegung zusammen, ohne sich zu widersprechen. Vielmehr sind beide gleichberechtigt in einer Wertschätzung für das Vergangene und dessen Bedeutung für das Entstehende. Gleichzeitig kann man die Gleichberechtigung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in dieser musikalischen Figur auch als Sinnbild für unser Jetzt verstehen — für ein ganzes Zeitgefühl, für einen Zeitgeist, der sich immer durch die Anwesenheit mehrerer Zeitebenen charakterisiert. Mit seiner kreisförmigen Drehung und dem vorwärtsgehenden Beat verkörpert Randy Savage diese Mehrzeitigkeit für einen kurzen Augenblick auf eine sehr eindrückliche Weise.

Bear Hug, Power Slam und Fistdrop lassen die Menge toben.

Die Arenen füllenden Wrestlinginszenierungen sprechen einen der ursprünglichsten menschlichen Affekte an: die Erregung darüber, dass sich zwei oder mehrere Personen im Kampf gegeneinander aufreiben. Bear Hug, Power Slam und Fistdrop lassen die Menge toben. Durch visuelle Reize angeheizt, hat diese Quasi-Ekstase etwas Befreiendes. In der aufgepeitschten Bewegung und dem Mitgehen vergisst sich das Publikum für kurze Augenblicke selbst.

Weniger martialisch ging Savage im Jahre 1993 seine ersten Schritte als Rapper. Vom Profi(show)sport zum Musikbusiness — besonders in den 90er Jahren ein präsentes Phänomen. Die Hoffnung des Macho Man war es wohl, die Menge auch auditiv mitreißen zu können. Er wollte dabei auf einen Zug in voller Fahrt aufspringen. Die mittlerweile salonfähig und massentauglich gewordene Rapmusik brachte Menschen weltweit zum Kopfnicken und Bouncen.

Es waren (und sind noch immer) besonders die Beats, die die Musik vorantreiben und dadurch auch eine Bewegung des Körpers auslösen können. Die ersten paar Takte können bestimmend sein, ob sich diese impulsartige Überwältigung im Innern ausbreitet und man sie durch ein Kopfnicken, heftige, mitgehende Bewegungen oder einfach nur ein überrascht-zufriedenes Lächeln äußert. Auch hier können Hörer*innen für einen kurzen Moment in Hingabe und Einverständnis aufgehen.

Um weiterzulaufen, muss der Beat allerdings erst einmal irgendwo anfangen. Dieser Anfang wird im Hip-Hop bekanntlich oftmals mit Samples gemacht. Das Sampling ist einer der Grundbausteine von Rapmusik. Das Zusammenfügen verschiedener Teile aus unterschiedlichen Musikstücken — oder die schleifenartige Aneinanderreihung nur einer eindringlichen Phrase — ist eine Form musikalischer Bricolage.

Das geneigte und interessierte Ohr bleibt an den kleinsten Phrasen in einem Stück Musik hängen.

Im Suchen, Finden, Isolieren und Neukombinieren kleiner und größerer Soundschnipsel aus älteren Produktionen liegt eines der kreativen Potentiale der Produzent*innen. Das geneigte und interessierte Ohr bleibt an den kleinsten Phrasen in einem Stück Musik hängen. Sei es nur ein kurzer Melodiebogen, in dem schon genug tragende Kraft für einen Beat steckt, oder aber das komplette Intro eines Songs, das geloopt wird — Möglichkeiten gibt es viele. Es entspringt jedem subjektiven Geschmack, an welchen Stellen man musikalisch an etwas hängen bleibt, doch die Faszination für kurze musikalische Ausschnitte, die über sich selbst hinausweisen, ist eine — zumindest in ihrer affektiven Dimension — geteilte Leidenschaft.

Die Arbeit an diesen Soundschnipseln weist ebenfalls deutlich über ihre eigene Prozesshaftigkeit hinaus. In der Bastelei an übernommenen und bestehenden Dingen und deren Verschiebung in einen anderen Zusammenhang steckt ein eigenes Potential. Mit dem veränderten Arrangement werden unterschiedliche Zeitlichkeiten zusammengebracht und anwesend gemacht. Mehr noch steckt in der scheinbaren Monotonie eines sich ständig wiederholenden Samples etwas Mobilisierendes: Das schleifenartige Sample bringt sich selbst und seine Entstehungsbedingungen mit jeder Schleife immer wieder aufs Neue hervor. Die zirkuläre Bewegung des geloopten Samples schreibt sich damit in die linear fortschreitende Zeit ein.

Das Fortschreiten und die immer neue auditive Hervorbringung der Entstehungsbedingungen beschreibt eine Zeitlichkeit, in der sich verschiedene zeitliche Konstellationen vereinen. Das Zusammenkommen, dieses Nebeneinander unterschiedlicher Zeitschichten, die sich in Sample und Loop ausdrücken, entlädt sich beim Hören. Dabei verkörpern sie die Beschaffenheit dessen, was wir als Gegenwart oder unser Jetzt bezeichnen. In diesem Jetzt fallen — mindestens — unsere eigene Vergangenheit und Zukunft zusammen. Weiterhin spielen unser nach vorn und hinten gerichtetes Denken und Handeln sowie eine zwischen beiden fortschreitende Gegenwart in dieses Jetzt hinein.

Bei aller Rückkopplung ist niemals ein Nach-vorn-Schreiten ausgeschlossen, es ist offen und immer möglich.

Damit speist sich diese Gegenwart auch aus der Rückkopplung an eine Vergangenheit: Wir alle kommen irgendwoher. Sicher ist auch, dass wir irgendwohin gehen. Bei aller Rückkopplung ist niemals ein Nach-vorn-Schreiten ausgeschlossen, es ist offen und immer möglich.

Der Wrestler Randy Savage ergriff eine dieser Möglichkeiten, indem er sein Wrestlingimage (also seine unmittelbare Vergangenheit) dazu nutzte, um einen Rapversuch zu unternehmen (also eine mögliche Zukunft, die sich aus seinem Jetzt und seiner unmittelbaren Vergangenheit speiste). Sein erster Track „Speaking from the heart“ findet sich auf dem Sampler „World Wrestling Federation Superstarts — Wrestlemania: The Album“. Das Stück ist, entgegen dem zu dieser Zeit bereits vorherrschenden Sampling in Hip-Hop-Gefilden, beattechnisch wenig elaboriert.

Die echten Bastler*innen fanden sich woanders. Noch im selben Jahr der Wrestlemania-Veröffentlichung debütierte der Wu-Tang Clan mit seinem Meilenstein „Enter the Wu-Tang (36 Chambers)“. Die wichtige Triebkraft des Clans ist hier der Produzent und MC Robert Diggs alias RZA. Teilweise aus Samples alter Funk- und Soullieder bastelt er die treibenden Beats, die den anderen Mitgliedern des Clans und ihm selbst als Grundlagen für die Texte dienen.

RZA wird hier zum Meister der Zeiten.

In dieser Bastelei und dem Zusammenfügen verschiedener Samples und Elemente liegt eine Bewegung, die verschiedene Zeiten zusammenführt, festhält und sie zirkulieren lässt; gebannt im Sampler, auf Band, Kassetten, Vinyl und CDs. RZA wird hier zu so etwas wie dem Meister dieser Zeiten, indem er autonom eine Modifikation in die Geschichten der genutzten Originale einführt.

Eines der berühmtesten Samples auf „Enter the Wu-Tang (36 Chambers)“ mag wohl jenes sein, das das Stück „Tearz“ vorantreibt. RZA entnahm hier Wendy Renes „After Laughter“ einige Passagen und fügte sie zu einem neuen Beat zusammen. Über das Sampling und Sequencing dieser Ausschnitte rekombiniert er das Originalstück, ohne die Referenz darauf zu vertuschen. Er kreiert also unter bestimmten Bedingungen etwas Neues, das eindeutig an etwas Älteres rückgekoppelt ist. In dieser Rückkopplung liegt eine der Bedingungen des neuen Beats: Allein die Anwesenheit des Originals — und damit eines oder mehrerer potenzieller Samples — ermöglicht es RZA hier, zielgerichtet etwas Eigenes zu erschaffen. Er hantiert in seiner Gegenwart mit einem Stück Vergangenheit und leitet bereits mit dem Sampling und der Isolation der einzelnen Phrasen die Vorwärtsbewegung, also eine mögliche Zukunft des Beats, ein.

Die Samples haben eine Geschichte und RZA schreibt sie neu.

Besagte Vergangenheit, in diesem Fall also die Zeit von „After Laughter“, unterliegt zudem selbst eigenen Entstehungsbedingungen, die bei der Bearbeitung durch RZA mitschwingen, also in gewisser Weise auch anwesend sind. Die Samples haben eine Geschichte und RZA schreibt sie neu. Die von ihm verwendeten Fragmente koppeln sich an mehrere Faktoren, auf die auch im neuen Kontext des Tracks „Tearz“ immer wieder verwiesen wird.

Zum einen sind sie an Wendy Renes musikalisches Werk gekoppelt, worin sich „After Laughter“ als ihre erste Soloveröffentlichung einreiht. Zum anderen sind sie ständige Rückkopplung an den Produktionsprozess der Musik. Darin verbinden sie sich gleichfalls mit dem für die Soulmusik so wichtigen Label Stax aus Memphis, das die Single im Jahre 1964 veröffentlichte. Im selben Jahr wurde der Civil Rights Act in den USA verabschiedet und Martin Luther King bekam den Friedensnobelpreis verliehen — Lichtblicke in einer Zeit, in der Segregation drückende Realität war.

Das Civil Rights Movement und Soul befruchteten sich bisweilen gegenseitig, denn immer wieder waren die Themen der Musiker*innen aus dem eigenen Leben gegriffen, in dem Fremdbestimmung und der Kampf dagegen bisweilen prägend waren. Bestimmte unabhängige Labels (wie Stax, Chess und andere) produzierten zielgerichtet Musik afroamerikanischer Künstler*innen und lieferten damit zu sampelndes Arbeitsmaterial in Funk, Soul, Blues und Jazz für die kommenden Generationen. Damit ist Wendy Renes Stück Musik in gewisser Weise auch Ausdruck dieser Zeit. Das Sampling durch RZA ist wiederum Ausdruck seiner eigenen Zeit, im selben Moment ist es auch Verweis auf die Geschichte des Labels, des Kampfes des Civil Rights Movement und eine musikalisch ereignisreiche Ära.

Repetitive Bewegungen beschreiben ein immer neues Hervorbringen der ästhetischen Energie des Klangs.

Wendy Renes Stück selbst ist die kontinuierliche Konstante dieser Geschichte, es reist durch seine eigene Zeit und landet bei RZA. Er isoliert die gewünschten Samples, reiht sie aneinander und loopt sie. In diesem isolierten Modus kehren die Ausschnitte aus Wendy Renes Stück in neuer Form wieder. Diese repetitiven Bewegungen beschreiben ein zirkuläres Wiederkehren und immer neues Hervorbringen der ästhetischen Energie des Klangs.

RZA selbst arrangiert diese Bewegung und ordnet die darin anwesenden Zeitschichten neu. Er fügt einen zusätzlichen Drumloop hinzu und verleiht der Komposition eine weitere, lineare Konstante. RZAs Gegenwart vermengt sich in diesem Prozess mit der Zeitlichkeit der Samples und der von ihm beabsichtigten, nach vorn gerichteten Produktion, die zu einem Baustein des Titels „Tearz“ auf dem Debütalbum des Wu-Tang Clan werden.

Der Beat geht im Moment des Hörens jederzeit nach vorn. Es handelt sich dabei jedoch gleichzeitig um ein Vorwärtsdrängen, das immer auch an die eigenen Entstehungsbedingungen gebunden ist: Original — RZA — Sample — Loop usw. In dieser nach hinten gewendeten und nach vorn strebenden Dynamik sind sowohl die Vergangenheit, die Gegenwart als auch eine mögliche Zukunft gleichwertige Komponenten. Es ist nicht der reine Drang, das reine Vorwärtskommen-Wollen, aber auch nicht das Einer-Vergangenheit-Nachhängen, was hier wertvoller ist als das jeweils Andere. Vielmehr ist es eine Ausgeglichenheit zwischen alldem.

Bei aller Bricolage und Bastelei entstehen neue Dinge.

Samplebasierte Beats verkörpern diese Ausgeglichenheit, die sich auch in unserer Zeit, unserer Gegenwart oder unserem Jetzt formuliert. Samples und Loops verweisen auf dieses Zeitverständnis und geben ihm eine Form. Bei aller Bricolage und Bastelei, die sich an Gegebenem orientiert und an den Beständen der Popkultur bedient, entstehen neue Dinge.

Randy Savage alias Macho Man brachte es nur zu einem Rapalbum und nach seinem Ableben im Jahre 2011 ist bisweilen mit keiner posthumen Neuveröffentlichung zu rechnen. Der Wu-Tang Clan bereist heute noch die Welt mit seiner Musik. Überall entstehen neue Produktionen, die sich mit dem Blick auf das Neue auch dem Alten in ehrwürdiger Weise verschrieben haben. Produzent*innen kommen und gehen, die Musik bleibt.

Den Hörer*innen wiederum bleibt die Wahrnehmung der Musik, in der sich ihre eigene Gegenwart spiegelt. Unsere Gegenwart besteht dabei nicht allein aus einem glasklar definierbaren Jetzt. Sie entsteht vielmehr in einer Spannung zwischen Vergangenheit und Zukunft, in der wir uns ständig neu verorten. Dieser Zeitbezug begegnet uns tagtäglich in allen Erinnerungen und Absichten, jeder Abwägung und Entscheidung. Die Bewegung zwischen den Zeitebenen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gibt unserem Handeln Orientierung. Musik, die aus Fragmenten anderer Musik zusammengesetzt und neu arrangiert ist, verweist auf diese Spannung. Sie macht das komplexe Verhältnis der Zeiten in einem Moment erfahrbar. Im Sample fühlen wir, was uns immer wieder antreibt: das Neue im Alten. Ein Track neigt sich dem Ende zu — and the beat goes on.