Online Lesen

Am Ende des Regenbogens

Seit Generationen kalauert sich Fips Asmussen unter Beifall durch die Bierzelte der Republik. Nur unser Autor Steffen Greiner zählte sich bisher nicht zu seinen Fans. Er hatte Sorge, etwas zu verpassen, und wagte den Selbstversuch: 24 Stunden mit dem teutonischen Liberace.

Ich wollte es mir ein bisschen einfach machen. Über Fips Asmussen schreiben, dachte ich mir, das geht kaum ohne ein leichtes Augenzwinkern, ohne heimlichen Respekt für die stilisierte Blödheit der Dauerkalauer. Ein bisschen Melancholie, ein Hauch Sepia legt sich auf mein Bild des Mannes, der sich noch 2014 auf dem Website gewordenen Programmierfehler fipsasmussen.de als „Possenreißer mit Grütze im Kopf“ bezeichnet.

Ein liebevoll weichgezeichnetes Porträt hat einer sich verdient, dachte ich mir, der „nicht nur auf der Bühne Profi [ist], sondern auch in der Vorbereitung seiner Produktionen und Solo-Abende. Im Computer speichert er seine humorvollen Einfälle, entwickelt seine Erzählungen […].“

Nun ist Fips Asmussen keiner dieser Altstars, die es verzweifelt darauf anlegen, ein Comeback zu erzwingen, oder es spannend fänden, vom hippen Kreativprekariat neu entdeckt zu werden. Fips Asmussen gehört eher zu derjenigen Gruppe von Rentenverweigerern, die den letzten Schuss nicht hören wollen und sich — ich verlasse mich hier auf eine Beobachtung der Süddeutschen zeitung — in dem Glauben eingerichtet haben, sie seien immer noch große Nummern, da draußen, im Deutschland der Deutschen.

Ruft man bei Fips Asmussen an, daheim in der Daheimstraße (sic!), beziehungsweise natürlich im ‚Büro Fips Asmussen‘, das seine Frau und sein Sohn unter der gleichen Adresse betreiben, um ein Interview auszumachen, verflüchtigt sich jede Hoffnung auf skurrile Kneipenabende bei Pils und Schiebermütz’ recht schnell: ohne Honorar keine Begegnung. Vermutlich, weil Fips Asmussen noch immer die Verkaufszahlen jeder Illu, die über ihn schreibt, in die Höhe katapultieren lässt. Ich werfe meine kulturwissenschaftliche Qualifikation und eine gute Flasche Wein in den Pott, aber es kommt nix mehr, leider, keine Antwort, keine Absage.

Achtzehn Stunden dauert allein die Playlist mit allen Asmussen- Krachern.

Ich musste mich dem Thema also ohne die erhellenden Worte des Altmeisters nähern. Meine letzte Hoffnung: Ich beschwöre den Geist des kalauernden Comedyuntoten einfach bei mir zuhause. Die Entscheidung war gefallen — ein Selbstversuch: 24 Stunden Fips Asmussen. 24 Stunden Witze am laufenden Band. 24 Mützen voll Witze. 24 grobe Feinheiten. Von Montag, 5:30 Uhr bis Dienstag, 5:30 Uhr: Schlag auf Schlag. Wie könnte man den hardest working man im Showbiz besser in absentia kennen lernen als mit einem echten Humor-Power-Nonstop-Marathon?

youtube hilft natürlich. Achtzehn Stunden dauert allein die Playlist mit allen Asmussen- Krachern, die User ShiftySmellsock erstellt hat, dazu findet man etliche Einzelstücke: Bootlegs, Camcorder-Mitschnitte (Lübzer Stadtfest 1992 etc.), Reportagen, Talkshowauftritte. Zum Vergleich: Die Gesamtlänge aller vorhandenen Tonaufzeichnungen der Beatles, inklusive aller Radioauftritte, übersteigt achtzehn Stunden kaum; ein Fakt, den man im Hinterkopf behalten sollte, wenn man unter dauerhafter Ulkbelastung an der Grenze zum Hirntod entlangschrammt.

Fips Asmussen, eigentlich Rainer Pries, ausgebildeter Werbefachmann, seit den 1970ern einer der bekanntesten deutschen Alleinunterhalter und Komiker, hat über die Jahrzehnte und in über fünfzig Veröffentlichungen seinen Stil kaum verändert. Fips Asmussen erzählt Witze. Genauer: Fips Asmussen steht auf einer Bühne, mit Dauerwelle und Mütze, und erzählt Witze. Witzebuchwitze. Einen nach dem anderen. Stundenlang.

Man rutscht schnell in seinen Rhythmus, so schnell, dass man seinen Witzen bald folgt wie dem Autobahnverkehr, der an der Raststätte vorbeirauscht, als etwas Präsentes, das jedoch stets unterhalb der Schwelle bewusster, reflektierter Wahrnehmung bleibt. Dieser Effekt setzt nach etwa zwanzig Minuten ein, er ist Teil des Konzepts: minimalschwellige Kalauer im Sekundentakt, man driftet rein, man driftet raus und irgendwann ist alles ein großes Gelächter, aber stets marktschreierisch angekündigt: „Das sind die Siebziger! Das ist unsere Zeit!“ — „Das ist international! “ — „Das ist Humor quer durch’n Garten!“ — „Das sind Sprüche, aus’m Leben gegriffen!“ — „Das ist das pralle Leben, so verrückt ist unsere Zeit!“ …

Es gibt einen Fips-Makrorhythmus und einen Fips-Mikrorhythmus. Der Makrorhythmus beginnt mit leicht angehamburgerter Marschmusik. Auftritt Fips: „Danke für den Applaus, ich bin es gewöhnt!“, dann drei, vier Sprüche zum Tageszustand, übergehend in Abschnitt eins, meist Schwule („Ich steh nach wie vor auf Frauen, auch wenn es nicht modern ist, ich werd mit Männern nicht warm, du!“), Alte („‚Wenn’s brennt, soll man 112 rufen‘, sagt der Opa, ‚Komisch, früher haben wir immer gerufen: Feuer!‘“), Ehefrauen („Ich wollte nicht heiraten, aber die Kinder waren dafür!“) inklusive dicker Ehefrauen („90-60-90, das andere Bein auch!“) und fremdgehender Ehefrauen (Briefträger!), gefolgt von Abschnitt zwei mit alternierend Impotenz, Saufen, Ausländern, Stotterern, Liliputanern, gefolgt von Abschnitt drei, Pause.

Kommt einer zum Arzt …

Kassette umdrehen. Übergang in Aufmarsch zwei, „Wart ihr auch grad aufm Klo? Sprüche haben die da, du!“, „Eine Durchsage für den Fahrer das Wagens HH-X-78, er hat das Licht angelassen, der Penner der davor liegt, kann nicht schlafen!“, „Kommt einer zum Arzt …“, Hämorrhoiden, Hühneraugen, Halluzinationen, „Du, das ist ein Typ, du!“, Eros-Center, Abgang. Ausflippen, Karnevalsmusik, Stunde um Stunde, Witz um Witz, es hört nicht auf, es hört nicht auf. Er hört nicht auf. Wäre die Zustimmung des Publikums nicht so erschreckend, dann wäre es die Abwesenheit jeder Dramaturgie, jedes Spannungsbogens. Fips Asmussen ist nicht Bob Dylan, er ist der Minimal Techno unter den Alleinunterhaltern.

Der Mikrorhythmus hingegen tänzelt filigran wie Muhammad Ali. Da alle Witze ohnehin nach zwei Sekunden vergessen sind, können auch Themenblöcke Haken schlagen. Jedes Thema beginnt mit zwei Jab-Schlägen, mit einer Wucht, die die Lacher aus der Reserve lockt. Sodann hält er die Spannung mit dem unter Asmussen-Exeget*innen so genannten ‚Führwitz‘, der eine Figur vorstellt, meistens er oder sie. Dieser Hauptwitz erreicht bisweilen eine Länge von mehr als zwanzig Sekunden (ein Helmut-Kohl- Witz aus den frühen 1980ern dürfte mit gemessenen vierzig Sekunden den Rekord halten) und umfasst Dialoge und Wendungen.

Während das Publikum das Warten kaum aushält, platziert Asmussen seine Pointe stets perfekt. Kinnhaken — Volltreffer, gefolgt von schnellen Schlägen, Punch, Punch, Punch, Oneliner, Oneliner, Oneliner, Themenwechsel. Volltreffer sind, wenn Poldi platzt. Poldi ist der Lacher. Poldi ist die Lache, die Asmussen-Lache. Poldi ist immer da, auf beinahe jeder Aufzeichnung, ein echter Fan, jahrzehntelang, seine Lache fehlt nie. Ein seltsam monotones, hohles Lachen, wie in Zeitlupe, aber laut, eine Lache, aus dem Synthesizer, glaubt man, bis Fips Asmussen anfängt, irgendwann, Poldis Lache zu kommentieren: „Du hast es nötig, Poldi.“ Wenn Poldi lacht, lachen ohnehin alle, und der Verdacht, dass Fips Poldi seit 1976 überall hinkarrt, liegt nahe, wird aber von Asmussen via twitter zerstreut. Poldi wäre ein Typ (ein „Das ist ein Typ, du!“-Typ sogar, vielleicht), den man einmal treffen sollte. Vielleicht verstünde man dann Fips Asmussen, womöglich liegt der Schlüssel zum Kalauer im Zwerchfell von Poldi.

Was Fips Asmussen nicht kann, sind Russen. Überhaupt Slawen, das ist nicht seine Stärke. Engländer klingen immer ein bisschen wie Amerikaner, Italiener und Spanier sind kaum zu unterscheiden. Ziemlich gut kann Fips Juden, das sind dann so Jud-Süß-Jidden, die sich über Beschneidungen, die Börse oder darüber, wie sie den Deutschen verarschen können, unterhalten.

Interessanterweise ist ausgerechnet Helmut Kohl, dessen Kanzlerschaft die Asmussen’sche Kunst in Richtung des politischen Witzes inspirierte, nicht mit der charakteristischen Helmut-Kohl-Stimme gesegnet, sondern klingt eher wie einer der warmen Brüder, die ihre zentrale Rolle in Asmussens Kosmos hingegen in den Achtzigern verlieren. Denn Fips ist gar nicht so zeitlos, wie man ihn sich wünscht. Fips Asmussen ist nicht der Witzeonkel, der seit fünfzig Jahren die immer gleichen Kalauer zusammenrührt.

Nein, Fips Asmussen geht mit der Zeit, oder besser: Die Zeit hat Fips Asmussen arg mitgenommen. Vielleicht wehrt er sich nur. Damit meine ich nicht, dass Asmussen tatsächlich die Politik entdeckt hat: Auf Kohl, Blüm und Strauß folgten Merkel, Künast und Wowereit als Protagonisten der immer gleichen Witze. Nein, es ist eine Verwandlung, die tatsächlich auch den Körper des Komikers betrifft, jenen kleinen, runden Körper mit der Frisur eines teutonischen Liberace, der Fischermütze, der entpolitisierten Regenbogenweste, der immer räusperiger, rauer werdenden Stimme.

Den jungen Asmussen kann man sich kaum vorstellen als Vorgänger des alten. Hört man die ersten Aufnahmen, fällt es schwer, sie in Verbindung mit dem posierenden Vogel auf den CD-Covern zu bringen. Es sind Kalauer, es sind einfache Witze, geschmacklose Witze, rassistische, sexistische, homophobe Witze, aber man hört in dieser Stimme, dieser jugendlichen Stimme, Schalk, Abstand, Lust am Spiel.

An die Stelle liebevoll ausgestellter, verspielter Doofheit tritt ein verzweifelter, frustrierter Weltund.

Was verschwunden ist, das fällt zuerst auf, sind die Stimmen. Der frühe Asmussen ließ in seiner Stimme das Andere zu. Es war ein weißer, machistischer Mann, der die Witze erzählt hat, aber seine Stimme konnte, für Sekunden, in andere Tonlagen umschlagen. Das macht seine Schwulenwitze nicht weniger homophob, aber in ihnen lag zumindest ein Element des Campen, des Queeren, der Lust am Spiel: Lust am Oma-Werden, am Papagei-Werden, am Ehefrau-Werden.

Irgendwann ist diese Lust verschwunden, vermutlich eher früh, schon in den 1980ern. An die Stelle liebevoll ausgestellter, verspielter Doofheit, die seine Selbstdarstellung noch immer proklamiert, rückt, und das so deutlich, dass man schon nach fünf, sechs Stunden genau weiß, aus welcher Fips-Phase das Stück stammt, ein verzweifelter, frustrierter Weltund — Küchenpsychologie, freilich — Selbsthass, der kein Drag mehr verträgt. Es verschwinden die Stimmen, es spricht einzig und allein und immer mehr: Fips Asmussen, alt, weiß, hetero.

Hinzu kommt, schlechter Ersatz: Aggression. Ich weiß nicht, wann die ersten Vergewaltigungswitze aufkamen, aber sie werden stetig dominanter. Die ersten herbeigekalauerten Ehefrauen waren immerhin geschickt darin, ihren versoffenen Ehemännern fremdzugehen und Spaß mit Briefträgern zu haben. Das ist so sexistisch, dass man gegen den Schmerz ins Tischbein beißen möchte, ließ sich aber problemlos unterbieten: „Meine Frau ist so mager, die trägt um den Hals ein Schild: Bei Vergewaltigung bitte diese Seite nach oben!“

Es gab einen Moment, früh, schon am Nachmittag, an diesem wunderschönen Frühlingsnachmittag, da war ich dicht davor, alles hinzuschmeißen. Ich komme mit der Verlässlichkeit von kontinuierlicher Albernheit im Zehnsekundentakt gut klar, aber nicht mit so viel Frust, wie er mir dort entgegenschlug, in einem Moment, in dem Asmussen nicht einmal mehr so tat, als würde er Witze erzählen, als er nicht einmal mehr den Anstand hatte, einen Kalauer zu versuchen, sondern einfach — ich habe mir es so zurechtgelegt — einfach nur Rainer Pries, der alte, frustrierte Rainer Pries war, in einem Moment auf SauStark!, einer ohnehin selbst für Asmussen- Verhältnisse brutal schlechten, vor Ekel triefenden Liveaufnahme aus Farnstädt.

Es war der Moment, in dem Pries’ Alter Ego Asmussen eine Strafzettel verteilende Polizistin angreift: „Was soll denn das? Dich sollte man mal zurückentwickeln und abtreiben. Blöde Kuh. Hast du nichts Besseres zu tun? Du solltest lieber als Nutte auf den Strich gehen, da kannst du mehr verdienen.“

Es war der erste Moment, nach zehn Stunden der erste Moment, in dem selbst dem Publikum nicht zum Lachen zumute war. Stille in Farnstädt. Es war der Moment, in dem ich nichts mehr wollte, als raus in die Sonne zu gehen. Ich bin geblieben. Ich habe weiter gehört. Aber es war der Moment, in dem es bei mir gekippt ist.

Humor ist eine sehr sympathische Art, mit Frustration umzugehen. Doch irgendwann ist bei Fips Asmussen der Humor unter dem Ärger verschwunden. Ich habe keine Ahnung, was es ausgelöst hat, was Asmussens Welthass ausgelöst hat, der in jedes Krächzen seiner Stimmbänder gewandert ist.

Ist es der Frust darüber, das der ähnlich ulkende Otto Waalkes eine Legende und Loriot so sicher wie kaum jemand sonst im Himmel ist, selbst Didi Hallervorden wahrscheinlich als respektierter Schauspieler abtreten wird, während Fips Asmussen in Hamm alte Säcke bespaßt und nicht zugeben darf, wie scheiße das alles ist? Vielleicht ist es der gleiche Grund, aus dem er auch Kollegen mit Urheberrechtsklagen überzieht, schlechter Witze wegen, die sich wahrscheinlich keiner der Beteiligten, sondern schwarmintelligente Nachkriegsschulhofnetzwerke ausgedacht haben?

Bei Spiegel TV erzählt er melancholisch von seiner aufstrebenden Karriere als Sänger in den Siebzigern des letzten Jahrtausends. Doch das Publikum sei bei seinen Stücken immer aufs Klo gegangen, um pünktlich für die Witznummer wieder am Platz zu sein. Fips Asmussen wollte nie Komiker werden, das Publikum wollte ihn so — und es hat ihn so bekommen.