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Kain Plan

Wer plant, ist böse! Über die Unlust, zu planen, und die Angstlust vor Auric Goldfinger.

Jeden Tag pünktlich 14 clock 30 Uhr verlässt ein Lieferwagen das Hauptgebäude der Bank, um die Bareinnahmen des Tages bei den einzelnen Zweigstellen abzuholen. „Genau um half past fünf kommt er zur Hauptfiliale zurück mit der gesamten Tageseinnahme, das sind meistens so drei- bis vierhundertausend Kronen“, erklärt Egon Olsen den skeptischen Kumpanen: „Mir ist so, als sprachst du von Millionen!“ „Das sprach ich auch. Weil genau in einer Woche, Mittwoch, ‘ne Menge Steuern fällig werden, dann hat der Lieferwagen vier Millionen im Bauch geladen! Der Wagen ist gepanzert, der Chauffeur bewaffnet, und er steht an diesem Tag unter Polizeischutz.“

„Jeder wird sagen, da ist nichts zu machen, eben darum wird es klappen“, sagt Egon Olsen im Film „Die Olsen-Bande und ihr großer Coup“: „Ich habe einen Plan. Das wird ein grandioser Coup, lupenrein, Maßarbeit!“ Wie immer bei der Olsen-Bande wird auch dieser tatsächlich perfekt um alle Ecken gedachte Plan des sympathischen Ganoven-Anführers letztlich scheitern: Zwar gelingt der Überfall, doch der Geldkoffer mit den Millionen ist in der dänischen Krimi-Komödie aus dem Jahr 1972 Auslöser eines charmant schlecht gealterten Reigens von Verwechslungen und anderen Farcen, an dessen Ende Egon, wie immer, im Knast sitzt.

Große Pläne und Bösewichte, das gehört zusammen. Nie hört man Batman von der Weltherrschaft faseln, umso öfter den Joker. James Bond ist ein brav regierungstreuer Beamter, wohingegen Dr. No, Auric Goldfinger und Ernst Blofeld an großen Umwälzungen arbeiten. Dr. Mabuse will eine Kolonie jenseits der zivilisatorischen Fäule in Brasilien errichten und wird dabei vom Staatsanwalt eines failed states gejagt, der Weimarer Republik. Die Bösen planen, die Guten haben Glück. Die Guten reagieren und schalten aus, die Bösen haben die großen Visionen und landen im Gefängnis oder in Vulkankratern, werden auf den Mond geschossen oder waschen zur Strafe lebenslang Teller. Sie sind Projektionsflächen zwischen eben jener Lust und jenem Ekel, den wir mit den ganz großen Plänen verbinden.

Die Guten reagieren und schalten aus, die Bösen haben die großen Visionen und landen im Gefängnis oder in Vulkankratern, werden auf den Mond geschossen oder waschen zur Strafe lebenslang Teller.

Die Menschheitsgeschichte, according to Bibel, beginnt mit dem Mord eines Planenden an einem, der sein Leben dem Lauf der Dinge anpasst: Der Ackerbauer Kain tötet den Hirten Abel. Eine Geschichte, gedeutet heute als Verarbeitungsleistung: eines realen jungsteinzeitlichen Konfliktes der frühen Sesshaften mit den Nomad*innen, den Jägern und Sammlern, die ziehen, wohin Wärme und Tiere ziehen. Kain erschlägt Abel aus Eifersucht, weil Gott dessen Tieropfer wohlfeiler ist als Kains dem Boden abgerungenes, vermutlich ja wirklich trostloses Opfer der ersten Feldfrüchte.

Die aus dem Paradies vertriebenen ersten Menschen Adam und Eva zeugen Kain und Abel, Abel stirbt, bekanntermaßen, unschuldig kinderlos, Kain hingegen, nun: „Kain aber nahm seine Schwester Awan zum Weib, und sie gebar ihm am Ende des vierten Jubiläums den Henoch. Im ersten Jahr der ersten Jahrwoche des fünften Jubiläums wurden auf Erden Häuser gebaut, und Kain baute eine Stadt, die er nach seinem Sohn Henoch benannte“, so steht es im „Buch der Jubiläen“, der sogenannten „Kleinen Genesis“, einer nicht in die Bibel aufgenommenen Schrift vermutlich des dritten Jahrhunderts vor unserer Zeit: Wir alle stammen nicht vom unschuldigen, blond gelockten Hirten-Hippie-Boy ab, sondern vom zerzausten Typen mit den schwieligen Händen und dem Plan und der Weitsicht, und vielleicht steckt uns das noch in den Knochen.

Vielleicht ist das Leben in post-monotheistischen Gesellschaften von einem jungsteinzeitlichen Trauma geprägt, in dem Planen als Akt gegen die Natur des Menschen, Planen als Grund von Mord und Totschlag erscheint. Der Monotheismus, könnte man dann behaupten, schafft eine Ideologie der Planungsfeindlichkeit, während er zum Fundament einer Gesellschaft gehört, zu deren Existenzbedingungen das Planen unbedingt dazugehört.

Wir alle stammen nicht vom unschuldigen, blond gelockten Hirten-Hippie-Boy ab, sondern vom zerzausten Typen mit den schwieligen Händen und dem Plan und der Weitsicht, und vielleicht steckt uns das noch in den Knochen.

In der realen Welt entstehen die meisten bösen Pläne in giftigen geheimen Treffen, in denen versucht wird, böse Pläne aus imaginären giftigen geheimen Treffen abzuwehren. Pläne sind immer, ob das so geglaubt wird oder bloß behauptet, Notwehr. Wer plant, ist sich darüber im Klaren, dass nicht der Funke göttlichen Einflusses über seinem Schicksal ruht, sondern böse Unwägbarkeiten. Wer plant, hat darum in gewisser Weise schon immer vor den hässlichen Seiten gesellschaftlichen Lebens kapituliert, und vielleicht ist das in einer säkularisierten Welt sogar eine notwendige Kapitulation.

Der sehr reine, gute Held Wickie (of „Wickie und die starken Männer“ fame) braucht keine jahrelange Bildung, keine über Jahrzehnte ausgeführten komplexen Ingenieursprojekte. Er braucht Intuition, Geschick und eine einzige Idee, stets hat er den Zufall auf seiner Seite – immerhin, wenn er schon da draußen sein und unnützem Gold nachjagen muss, statt daheim im schönen Flake das Leben zu genießen.

Der Böse, oder, wie wir ihn fürderhin nennen sollten: der Mensch in der Moderne, weiß hingegen, dass er planvolles Vorgehen brauchen wird, um sich zu erwehren. Das gilt leider erst einmal für einen paranoiden Strategen einer Militärjunta, der den nächsten Putsch mit präventiven Verhaftungswellen bekämpfen will, ganz genauso wie für einen queerfeministischen Zirkel, der mit einem Klokabinensticker versucht, das Patriarchat mit Humor zu destabilisieren.

Der Monotheismus schafft eine Ideologie der Planungsfeindlichkeit, während er zum Fundament einer Gesellschaft gehört, zu deren Existenzbedingungen das Planen unbedingt dazugehört.

Planvolles Denken bedarf einer Position, die nicht die der maximalen Ohnmacht ist, sondern einer Macht in Schlagweite zur Macht, die natürlich oftmals sogar schon reale gesellschaftliche Macht ist, sich aber nie so anfühlt, weil Macht sich nun einmal nicht anfühlt, wie man sie erwartet, schon gar nicht in einer vielfach ineinander verstrickten Gesellschaft, sich vermutlich nicht einmal dem absoluten Herrscher im Absolutismus so ganz und gar absolut und stabil und unangreifbar anfühlte, nicht etwa nur der immer präsenten Verschwörer*innen wegen, sondern weil der Mensch eben irgendwann einmal sterben wird und Gott eine verdammt unsichere Wette bleibt.

Das ist eine Scheiß-Position, in der wir genauso stecken wie die Panzerknacker. Nicht die Bösen planen, sondern die deklassierten Trotzdem-Optimist*innen. Die nicht aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität, Religion, aber vor allem nicht von Netzwerken oder familiären Kontexten wirklich Begünstigten. Planen ist keine Charakterfrage, sondern eine der gesellschaftlichen Stellung, nicht planen zu müssen: ein Privileg.

In unserem inneren Unbehagen, zu planen, mit Weitsicht statt Impulsivität und Vertrauen in die Instinkte zu leben, steckt die Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg oder der Unmöglichkeit des Aufstiegs, die sich einzugestehen eben jene Planung bedeutet. Und zugleich steckt in unserer noch grundsätzlicheren moralischen Abwertung des Planens, die sich in rechten Verschwörungstheorien genauso zeigt wie in kindlicher Angstlust vor dem Erzbösewicht Joker, eine tiefe Sehnsucht nach einem imaginär verlorenen Paradies, in dem schon für alles gesorgt ist. Vielleicht mag es kluge Pläne geben, einmal real dorthin zu gelangen, Pläne, die nicht gegen andere Pläne gerichtet sind – und gegen andere Planer*innen.

In diesem Fall sollten wir Kinder Kains uns auf die Schulter klopfen: Denn, bei allem Respekt vor dem Hirten-Hippie, dessen Blut in unseren Feldern versickert ist – die Häuser auf Erden, die Städte, die Schrift, RuPaul’s Drag Race und Milchreis, das haben immer noch wir gemacht. Blättern wir also noch einmal um, dort geht es schon heraus aus dem Heft: und wieder ein Häkchen auf der To-do-Liste. Es war doch ein Vergnügen.